Aisling

Aisling – Zwei Herzen voller Wein

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 16. Februar 2019


USA (Palo Alto) – Wer von euch hat sich schon mal Gedanken über ein eigenes Weinetikett gemacht? Du etwa? Und? Hast du es verwirklicht? Nun, die meisten Weinliebhaber, die schon mal einen Gedanken an einen eigenen Wein mit eigenem Weinetikett verschwendet haben und sich auf den Weg machten, sind zumeist auf der Strecke geblieben … du auch? Ja, ich weiss, es ist schon ein ambitionierter Anspruch und garnicht so einfach, sich diesem Thema erfolgreich zu widmen. Von einem Ehepaar, dass es geschafft hat und wie es dazu kam, möchte ich euch erzählen.

Sinnvoll wäre es, bevor ihr hier weiterlest, vorab meinen Beitrag mit dem Titel: "Rentner erschaffen Weinmarke – Ex-Apple Manager übernimmt", zu lesen – denn nachfolgend beziehe ich mich auf die dortigen Protagonisten James Bean und seine temperamentvolle Frau Christine O’Sullivan sowie auf deren Herzensprojekt. Hier erzähle ich nun ihren mühsamen Weg zur Findung eines Namens für ihr Weinlabel. Es war letztlich Christines Wille und die Eingebung von James, die über Umwege zum Erfolg führten und es spiegeln sich darin Gefühle wider, die nicht intensiver sein könnten. Ja, James und Christine sind leidenschaftliche Weinliebhaber, und ja, sogar derart intensiv, dass beide neben ihren anspruchsvollen Jobs, spätestens seit sie sich kennenlernten, praktisch Wein atmen. Wir steigen ein mit dem Prolog.

Leidenschaft und Gelassenheit

Christine, aus Irland stammend, hatte seit ihrer Geburt Leidenschaft im Blut, eine Tatkraft, die ihr Schicksal mit einem Happy End krönte. Sie erinnert sich heute noch an die Worte ihrer Mutter: "Ich habe meine Kinder erzogen, das Haus zu verlassen". Diese Aussage mag in vielen Gesellschaften ungeheuerlich klingen, aber nicht so in ihrer irischen Heimat. Christine war als Inselkind von Jugend an vom Reisefieber infiziert, sie war neugierig, sie suchte nach Antworten zum Leben, sie wollte Klarheit haben. Sie hatte keine Ahnung und das wollte sie ändern. 

Und so begannen ihre Wanderjahre. Christine reiste ausgiebig durch ganz Europa, eroberte ferne Länder wie Japan, Malaysia und Singapur. Sie versuchte sich in verschiedenen Berufen. Manchmal fühlte sie sich wohl, manchmal nicht. Dabei durchlief sie unweigerlich Lektionen des Lebens. Sie lernte sich anzupassen, Neues auszuprobieren, aber auch Regeln zu brechen und machte dabei die Erfahrung, dass sie Niederschläge und fehlende Erfahrung durch Gelassenheit wieder gut machen konnte.

Irgendwann, wir sind im Jahr 1993, landete Christine in Kalifornien. Hier im Sonnenstaat wollte Sie nur vorübergehend bleiben. Wie falsch sie lag. Sie lebt heute noch hier in einem verwirklichten Traum, wie ich schon berichtet habe (Link am Ende des Artikels). Anfangs verbrachte Sie ihre Zeit in Kalifornien bei Apple, wo sie in der Entwicklung der OS X Betriebssysteme involviert war. Es war eine der aufregendsten Zeiten ihres Lebens, damals als Steve Jobs zurückkam und Apple neu belebte. "Als Steve kam, fühlte es sich an, als wären die Wikinger eingedrungen. Er war brillant, wahnsinnig druckvoll, inspirierend und aufregend. Ich konnte von dem Flow damals nicht genug bekommen", erinnert sich Christine.

Christine war verantwortlich für die Verwaltung und Veröffentlichung der OS X Betriebssysteme, damals das wichtigste Projekt von Apple. Sie steigerte sich mitsamt dem Termin enthusiastisch in die Arbeit, bemerkte aber auch, dass ihr Privatleben auf der Strecke blieb. "Es war ein Traumjob, aber jeder, der in seiner Arbeit völlig aufgeht, weiss, dass man dafür auch einen Preis zahlen muss", erzählt Christine. Sie machte sich in der Folge Gedanken, den Job aufzugeben und wieder nach Europa zu reisen. Diese Überlegungen wollte sie mit jemandem teilen und es kam der Tag, an dem sie James Bean (sie nennt ihn Jim) traf. Es war der Wendepunkt in ihrem Leben. "Rückblickend gesehen haben wir eine Reihe von Ironien erlebt. Heute sind wir beide davon überzeugt, dass unsere Wege sich kreuzen sollten", erzählt Christine.

Als Sie Jim traf war er gerade einen Monat zuvor zu Apple gestoßen. Dort sind sich beide aber nicht über den Weg gelaufen und so war es ein Zufall, dass sie sich außerhalb des Apple-Campus kennenlernten, verliebten und so ein gemeinsames Leben gründeten. Jim stammt aus einem Vorort von Philadelphia (Pennsylvania). Seine Jugend war behütet, er verbrachte viel Zeit an der schönen Küste von Jersey, die man auch als das "verborgene Urlaubsjuwel" bezeichnet. "Die Zeit am Strand gab mir das Gefühl von Frieden und Ruhe, verbunden mit einem enormen Gefühl von Freiheit", erzählt Jim, der als CPA (Certified Public Accountant – dt. Wirtschaftsprüfer) bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Philadelphia arbeitete, bevor er zu Apple wechselte.

Bean Family Vineyards

"Wein war stets ein Thema bei uns. Ich träumte von den 'Bean Family Vineyards', aber wenn man mit jemanden wie Christine verheiratet ist, bekommt man sofort Punkte abgezogen, weil man sich nicht genug anstrengt", erzählt Jim. Es war die Zeit nach ihrer Hochzeit, die sie im Napa Valley zelebriert hatten und auch die Zeit, als sie ihr Anwesen, ein altes Gründerhaus in Palo Alto, umbauen und renovieren ließen. Ihr Traum von einem eigenen Weingut, jetzt mitten in Weinbergen lebend, schwelte fortan immer intensiver. Sie begannen ernsthaft darüber nachzudenken, mussten aber feststellen, dass sie keine Ahnung hatten und sich noch nichtmal auf einen Namen einigen konnten. Und so ließen Sie ihre Gedanken für einige Zeit auf Eis liegen.

In 2011 reiste Christine nach Europa zum Besuch ihrer Eltern via Paris, um dort vorab ein paar Tage die Stadt zu erleben. Beim Schlendern durch die Straßen des Pariser Quartiers Saint-Germain-des-Prés entdeckte Christine eine schöne Boutique namens Rêve (französisch: Traum). Der Name ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Zuhause in Irland erzählte Sie den Eltern von ihrem Vorhaben, dass Jim die Idee eines eigenen Weingutes habe und beide schon lange über einen Weinnamen nachdenken würden. Ihr Vater hörte sich die Geschichte an und reagierte auf den Namen Rêve mit dem Wort: 'Gang'. Gang bedeutet auf Gälisch 'Traum' oder 'Vision'. "Warum willst du deinem Wein einen französischen Namen geben, wenn du Irin bist?", fragte mein Vater. "Und wie Recht er hatte", erinnert sich Christine. "Wir fingen sofort das Diskutieren an, denn der Name Gang passt von der Bedeutung perfekt, klingt im amerikanischen aber nicht gut. Zum Begriff Traum und Vision fiel uns dann der alte gälische Begriff 'Aisling' ein – Volltreffer".

Das Wort Aisling stammt aus der frühirischen Literatur. Es ist eigentlich kein Name, sondern ein Substantiv, die Verwendung als Eigenname wurde erst später populär. Aisling verbindet sich traditionell mit einem Dichter, der einschläft – im Traum erscheint ihm eine schöne Frau in die er sich verliebt. Im 17. Und 18. Jahrhundert verband die irische Gesellschaft den Begriff Aisling auch mit dem Wunsch nach Freiheit. Der irische Sänger und Liedertexter Shane MacGowan, der mit der Londoner Band Pogues berühmt wurde, hat einen Song mit dem Titel Aisling geschrieben und der irische Dichter und Nobelpreisträger Seamus Heaney hat in seiner 1975er Sammlung 'North' ein Gedicht mit dem Titel Aisling verfasst. Schließlich ist der Name in heutiger Zeit auch bekannt durch Aisling Bea (geb. 1984), eine in London lebende irische Schauspielerin, Bühnenautorin und Komikerin. Sie ist eigentlich eine geborene Aisling O’Sullivan, legte ihren Familiennamen aber später ab, weil sie verhindern wollte mit der gleichnamigen Film- und Theaterschauspielerin Aisling O’Sullivan (geb. 1968) verwechselt zu werden, die ebenfalls aus Irland stammt.

Jedenfalls, der Name für das erste Label war gefunden, nachdem James auch von der Wahl begeistert war. Christine beauftrage einen irischen Freund mit dem Design des Labels. "Ich habe deswegen einen Iren mit dem Design beauftragt, weil nur wir Iren den Namen Aisling interpretieren und die Leidenschaft dazu spüren können", erzählt Christine. "Die Grundidee von Jim und mir war die Vorstellung des Dichters, der von einer schönen Frau träumte. Das Haar der Frau sollte über die Landschaft streichen und eine Anmutung von Reben erzeugen. Eine Weile diskutieren wir darüber, saßen am Computer, generierten den Namen, designten, konnten uns aber nicht einigen, wir fanden keine Resonanz". Im privaten Gespräch mit dem Designer über die Liebe zum Wein, über die Liebe zur Familie und die wahre Inspiration zu dem Namen Aisling, entfuhr es James: "Wartet, da ist etwas. Wir schreiben den Namen per Hand, das ist romantischer, das ist flüssiger und dazu noch ein Symbol für Liebe".

Ein wahr gewordener Traum

"So getan wirkte Aisling handgeschrieben mit passender Ausarbeitung wie eine Perfektion. Wir waren sofort begeistert", erzählt Christine. Es war eine lange Reise bis dahin. Zwischenzeitlich hatten James und Christine sogar ihr Vorhaben, einen Wein mit eigenem Label produzieren zu lassen, vernachlässigt, sie waren festgefahren in ihren Gedanken. "Wie bei vielen Dingen im Leben ist ein Vorankommen manchmal nur dann möglich, wenn man das, was man will, erst mal beiseite legt, um dann zu überlegen und zu definieren, was man nicht will", sagt Christine. Als das Label dann ihren Wein zierte, den Sie bei einem Winzer hatten füllen lassen, nahmen Jim und Christine einige Flaschen mit zu einer Party mit Freunden. Sie verrieten nicht, dass ihr Label den Wein zierte. Sie waren gespannt auf die Reaktion ihrer Freunde.

"Unsere Freunde verlassen sich stets darauf, dass wir was Gutes mitbringen", erzählt Christine. "Als die Leute das Label betrachteten und anfingen, darin eine Romantik zu erkennen, nahm die Weinflasche ein eigenes Leben auf. Unsere anstrengenden Gespräche, das mühsame Nachdenken, die vielen Eindrücke bis zur Findung eines Namens fühlten sich durch das positive Interesse unserer Freunde auf einmal ganz leicht an. Wir waren beschwingt und glücklich." 

Beim Schreiben dieses Artikels kam mir eine bemerkenswerte und hier passende Aussage des irischen Präsidenten Michael D. Higgins in den Sinn, der nicht nur Politiker ist, sondern auch ein Dichter, Soziologe und Autor. Er sagte einmal, ich zitiere: "Jedes Alter muss seinen eigenen Traum haben und von einer besseren, freundlicheren, glücklicheren, gemeinsamen Welt träumen." Aisling ist so ein Traum, den James Bean und Christine O’Sullivan erlebt haben, der sich mit jeder neuen Erfahrung und mit jeder Person, der sie begegneten, weiterentwickelte. Ich kann nur jedem empfehlen, der wie meine Protagonisten, ein eigenes Label kreieren will – das gilt im Übrigen für jedes Projekt, das man startet – intensiv darüber nachzudenken und sich bei der Verwirklichung eines Traums nicht entmutigen zu lassen. Was die beiden Protagonisten anbelangt, so war allein die Reise bis zum Label auf der Flasche ein außergewöhnliches, unvergessliches Erlebnis.


Seit kurzem sind James Bean und Christine O’Sullivan Eigentümer eines eigenen Weingutes. Ich habe darüber berichtet:

Rentner erschaffen Weinmarke – Ex-Apple Manager übernimmt

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