Bremer Ratskeller: 150 000 Euro-Schnäppchen für einen „1653er“?

DEUTSCHLAND (Bremen) - Es waren unruhige Wochen für Karl-Josef Krötz, den Kellermeister des Bremer Ratskeller, seitdem bekannt wurde, dass der chinesische Milliardär Huang Nubo 150 000 Euro für eine einzige Flasche Rüdesheimer aus dem Rose-Fass, benannt nach der Blume, geboten hat. Der 57-Jährige, der sich vorgenommen hat, alle Stätten des Unesco-Welterbes abzuklappern (dem Rathaus der Stadt Bremen mit ihren alten Fässern und Weinschätzen im Keller wurde diese Ehre 2004 zuteil), besuchte die weinhistorische Stätte unter Führung von Krötz, bewunderte das Interieur und war anschließend so fasziniert, dass er unbedingt ein flüssiges Stück davon erwerben wollte.

Als diese Nachricht publik wurde, sprangen gleich etliche Medien auf das Thema an. Sogar SAT1 wurde in Bremen vorstellig. Und Krötz kam aus dem Erklären nicht mehr heraus. Einige haben dabei wohl nicht richtig zugehört. Denn überall war von einem 1653er die Rede, der im 1200-Liter-Fass liegen soll.

Aber das ist nur bedingt richtig. Der Wein, der fünf Jahre nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) geerntet wurde, stammt sicherlich zum Teil aus diesem Jahrgang. Aber es gibt bei Holzfässern nicht nur beim Cognac, sondern auch beim Wein den „Anteil der Engel“, sprich mit der Zeit entsteht Schwund, der ausgeglichen werden muss. Bei wertvollen Flaschen lässt sich das durch Neuverkorkung beheben. Ein, zwei Zentimeter Schwund, die nach Jahrzehnten normal sind, können – so vorhanden - aus einer weiteren Flasche nachgefüllt werden. Oder man gibt Glaskugeln oder Kieselsteine in die Flasche, damit die normale Füllhöhe wieder erreicht ist.

Letztere Version mochte man beim Rose-Fass 1653 halt natürlich nicht anwenden. Also wurde mit altem Wein nachgefüllt. So sorgten beispielsweise ein 1727er, ein 1748er, 1786er und 1784er für Schwundausgleich. Alle diese Rüdesheimer, Johannisberger und Hochheimer Weine, vermutlich Riesling, liegen im sog. „Apostelkeller“ in Fässern, die Namen von Aposteln tragen, zum Beispiel Simon und auch Judas. Der 1727er wurde sogar früher zum kleinen Teil in Flaschen gefüllt, vor Jahrzehnten sogar verkauft und war gelegentlich bei Versteigerungen Gegenstand von Begehrlichkeiten. Eine kleine Flasche war einem Sammler bei einer Auktion von Christie’s immerhin 6500 Euro wert.

Das gehört zur Tradition des Hauses. Schließlich gab es schon im 14. Jahrhundert einen städtischen Weinkeller. „Ein Trinker, ein rechter, sauft nicht“, war ein Motto des Hauses. Früher trank ein Bürger allerdings „seine zwei Mass, und es war, als hätt’er Wasser getrunken.“ Es war in der Regel immer Wein aus deutschen Landen, gemäß einer Verfügung der Senatsherren. Den Wein über lange Zeit in Fässern zu lagern passte zur Bremer Weingeschichte. Hanseatische Kaufleute machten die Stadt an der Weser schon im 12. Jahrhundert (damals standen hier Reben) zu einem Umschlagplatz für Wein aus anderen Ländern. Aus dem Jahr 1730 wird berichtet, dass man in Bremen Rheinwein trinke, während sich das „gemeine Volk“ mit Bordeauxwein begnügen müsse. Fassimport und dann Ausbau in Bremer Kellern war noch vor wenigen Jahrzehnten durchaus üblich.

Doch zurück zum Rose-Fass. Krötz gibt an, er habe dem unbekannten Besucher aus China ohne Kenntnis von dessen Vermögen einiges erzählt und auch darauf hingewiesen, dass im Lauf der Zeit hin und wieder anderer Wein nachgefüllt wird. „Aber was alles übersetzt wurde, kann ich nicht beurteilen.“ Man sei in den letzten Jahrzehnten sehr sparsam mit Kostproben gewesen. Zuletzt 1996 bekamen der Ratskellermeister und eine Gruppe von Weinjournalisten etwas davon ab. Der Schreiber dieser Zeilen war dabei und konnte damit für sich in Anspruch nehmen, dass dies schon das zweite Mal gewesen war. Einmal, 1987, durfte im Beisein des damaligen Kellermeisters Heinz ten Doornkaat ebenfalls verkostet werden. Die Eindrücke von beiden Proben waren ziemlich identisch: Ausoxidiert wie alter Sherry oder Madeira, etwas Karamell in der Nase, aber noch durchaus lebhaft aufgrund seiner enormen Säure (19 Promille wurden irgendwann mal ermittelt), merkliches Rückgrat (bei einer Analyse waren es knapp 15 Grad Alkohol und fast 80 g/l Extrakt). Er übertraf damit den bei einer Verkostung vor einigen Jahren noch überraschend guten, stabilen 1727er (13,3 „Volt“, 42,7 Extrakt) deutlich.

Sicher ist das, was heute im Rose-Fass liegt, eigentlich unsterblich. Wieviel Prozent 1653er dabei sind, lässt sich analytisch nicht feststellen. Aufgrund der inneren Werte könnte der Verdacht aufkommen, dass in grauer Vorzeit auch mal gespriteter Wein zu Anwendung kam. Zumindest ist bekannt, dass im 16. und 17. Jahrhundert in Bremens Kellern gelegentlich saurer Rheinwein verbessert wurde. Ob sich die damaligen Ratskellermeister das zum Vorbild nahmen – wer weiß.

Mehr lässt sich über den theoretischen Wert sagen. Ein Bankexperte nahm 1987 auf Basis des Jahrgangs 1653 eine Zinseszins-Hochrechnung vor und kam damals schon auf knapp 35 Billionen D-Mark. Die Summe würde locker reichen, um die an chronischem Geldmangel leidende Stadt Bremen inklusive Deutschland (derzeit rund 2 Billionen Miese) langfristig zu sanieren. Nur würde es wohl etwas schwierig sein, dafür Käufer zu finden.

In Bremen wird laut Krötz derzeit noch überlegt, ob man einen Deal mit dem Mann aus China macht, neigt aber wohl eher zu einer Absage. Außerdem wären die 150 000 Euro/Flasche gewissermaßen ein Schleuderpreis. Denn man geht sicher nicht fehl, wenn man aus der vor 27 Jahre genannten Summe heute auf etwa 18 Billionen Euro (= 18 000 Milliarden oder 18 000 000 Millionen) kommt. Daraus ergibt sich ein Literpreis von 150 Millionen Euro. Der Kaufinteressent aus China müsste also sein Angebot gewaltig aufbessern.

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