Große Ambitionen Teil-I: Moët Hennessy investiert in Tibet

20.05.2015 - X.XIANGYI

CHINA (Dêqên) – Vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht fährt Litsing-Gerong von Weinberg zu Weinberg, von Dorf zu Dorf und gibt den Bauern Anweisungen, was sie mit ihren unförmigen oder kränklichen Trauben tun sollen. Die Wege zu den Dörfern sind fast unfahrbar. Mit seinem Geländewagen kämpft sich Litsing-Gerong ständig über schlammige, holprige und kurvige Straßen. Pausen gönnt er sich nur wenige und wenn, dann wartet eine Belohnung auf ihn: es ist das Duftbukett und der Geschmack von Rotwein, die seinen müden, durchgeschüttelten Knochen etwas Erleichterung verschaffen – jedenfalls fühlt er das so.

 

Dem 47jährigen Litsing-Gerong, einem tibetanischen Traubenexperten, bereiten die Augusttage immer typisch kritische Momente, weil dann die Trauben anfangen zu reifen. Litsing-Gerong ist zuständig für die Einführung der Weinindustrie und somit auch für die angehenden Winzer im autonomen Bezirk Dêqên* der Tibeter, gelegen in der chinesischen Provinz Yunnan im Südwesten Chinas, wo am Fuße des Berges Meili ('Schneeberg' - mit einer Höhe von 6470 Metern) auch eine der wichtigen Pilgerstätten für Tibetaner liegt. Im späten Herbst und frühen Winter jeden Jahres reisen Pilger aus Tibet, Sichuan, Qinghai und Gansu hunderte Kilometer um den heiligen Berg zu verehren. Sie prozessieren für eine oder zwei Wochen rund um den Berg, was von den Einheimischen als "Umwanderung" bezeichnet wird.

Dass die Gegend mit ihrem Terroir zum Weinanbau geeignet ist, musste vor gut zehn Jahren erst noch entdeckt werden, und schon gar nicht hatte man damit begonnen. Und nur wenige hätten sich vorstellen können, wie sich die Dinge verändern würden. Die Region auf dem 27 Grad nördlicher Breite ist noch weit von den Verhältnissen des Goldenen Weinbau-Gürtels der Nordhalbkugel entfernt, wo die Anbauzonen zwischen dem 35 und 45 Grad nördlicher Breite liegen. Und die Idee, dass diese Region eines Tages ein Magnet für Weinproduzenten werden könnte, schien damals schlichtweg lächerlich.

Zu dem quälenden Gefühl, dass sich diese Weinberge in Dêqên am falschen Ort zu befinden scheinen, kommt noch hinzu, dass sie sich auf Höhen von bis zu 2.800 m über NN befinden, also etwa auf halber Höhe zum Gipfel des Mont Blanc, dem höchsten Berg in Westeuropa. Und selbst heute haben die meisten Einheimischen von Dêqên, von denen 82 Prozent Tibetaner sind, wahrscheinlich noch nicht realisiert, dass ihre Weinberge die Weltkarte der Weinproduktion neu zeichnen (könnten). „Aber was sie bereits haben, ist ein Gefühl dafür, dass all ihre Maisfelder bald zu Weinbergen werden“, sagt Litsing-Gerong.

Einer für diese beginnende Mini-Agrar-Revolution verantwortlichen Initiatoren ist der französische Wein- und Spirituosenhersteller Moët Hennessy, der im Februar zustimmte, im Rahmen einer Partnerschaft mit Vats Liquor Chain Store Management Joint Stock Co. Ltd., einem chinesischen Likörproduzenten, zukünftig Premium-Rotweine im Bezirk Dêqên zu produzieren. Bemerkenswert dabei: zwei Drittel der Anteile an dem Projekt gehören Moët Hennessy, und das letzte Drittel gehört Vats – normalerweise sind die Verhältnisse umgekehrt. Sicherich hat der Vats Konzern großes Interesse, aber keinesfalls das Know How, unter diesen Umständen ein Weinbaugebiet zu realisieren.

In der ersten Phase dieses Projekts (beginnend schon in 2012 und konzipiert bis 2019) wird Moët Hennessy unter der Firmierung 'Shangri-La (Dêqên) Winery Co. GmbH' einen 30 Hektar großen Weinberg in der Nähe des Dorfes Adong im Bezirk Dêqên errichten. Bei der Ankündigung des Projekts wurde Mark Bedingham, Geschäftsführer von Moët Hennessy für die Regionen Asien und Pazifik, mit der Aussage zitiert: " ... der Wein, der in Dêqên produziert wird, wird zunächst hauptsächlich in China vertrieben - erst später dann vielleicht auch woanders." Aus seinen Worten spricht Skepsis und Hoffnung gleichermaßen.

Da der Wein der zukünftigen Shangri-La Winery mindestens zwei Jahre lang in Barriques in den Kellern des Gutes reifen soll und weitere zwei Jahre in der Flasche ruhen soll, wird er circa vier Jahre alt sein, bevor er auf den Markt kommt. Nun ist Wein nicht das einzige Getränk, das internationale Firmen mit verwegenen Plänen für diese noch unterentwickelte aber hochinteressante Region für Agrarprodukte innerhalb Chinas anlockt. Die Provinz Yunnan ist längst zu einem Schlachtfeld für internationale Kaffee-Riesen wie Nestlé und Starbucks geworden, weil diese versuchen Zugang zu den besten Plantagen des Landes zu gewinnen. 

 

*Dêqên – Der Autonome Bezirk Dêqên (chin. Diqing) der Tibeter liegt im Nordwesten der chinesischen Provinz Yunnan und ist der tibetischen Kulturregion Kham zuzurechnen. Dêqên hat eine Fläche von 23.870 km² und ca. 330.000 Einwohner. Die hiesigen Dörfer verfügen kaum über eine nenneswerte Infrastruktur. In der unwegsamen Region ist Landwirtschaft die einzige Erwerbsquelle. 

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