Ausflug ins edelsüsse 100-jährige Burgenland

Burgenland

Text: Rudi Knoll, Foto: ÖWM / WSNA / Christian Bauer

Sie sind eine besondere österreichische Spezialität, hochkonzentriert, mit oft delikater Frucht, in den meisten Anbaugebieten eher eine Randerscheinung, aber in einer Region regelmässig zur Hochform auflaufend, und dies durchgängig bei sehr angenehmen Preisen: die edelsüssen Weine, die im Burgenland auch in einem besonderen Jahr wie 2021 viel Beachtung verdienen.

Ein Jubiläum darf gefeiert werden. 1921 kam Deutsch-Westungarn als Folge der geographischen Neuordnung nach dem Ersten Weltkrieg zu Österreich und wurde in Burgenland umbenannt, mit Eisenstadt als Hauptstadt. Am 5. Dezember vor hundert Jahren erfolgte die offizielle Übergabe, nachdem schon vorher die Weichen für eine Erneuerung gestellt wurden. Winzer im Burgenland sind heute noch dankbar, dass ihnen dadurch Jahrzehnte in einem System erspart blieben, das wohl auch der Entwicklung im Weinbau geschadet hätte. Vielleicht deshalb wurde die Weinkollektion «Wir sind 100!» kreiert, mit sieben Weinen in verschiedenen Kategorien (Infos unter www.weinburgenland.at).

Zum Hundertjährigen ist Wein-Burgenland schon weinrechtlich neu geordnet und in DAC-Gebiete, Weintypen und -sorten aufgeteilt. Wir begeben uns in die Regionen am Neusiedlersee, wo schon einige Jahre der hier weit verbreitete Zweigelt (1812 Hektar) für den trockenen Neusiedlersee DAC, auch mit Zusatzbezeichnung Reserve für höhere Qualitäten, steht. Am grössten Steppensee Mitteleuropas sind zudem die weithin berühmten Prädikatsweine zu Hause, die Spät- und Auslesen, die ebenfalls als Neusiedlersee DAC bezeichnet werden, ebenso die Beeren- und Trockenbeerenauslesen, die den Zusatz Reserve tragen. Besondere Raritäten sind Eisweine und die nur mehr selten erzeugten Schilfweine, bei denen die Trauben vor der Kelterung mindestens zwei Monate auf Schilf (davon gibt es am See genug) lagern und deren Saft dadurch sehr konzentriert wird. Sogar Zweigelt kommt hier als roter, gehaltvoller Süsswein vereinzelt ins Spiel.

Das Gebiet vom Nord- bis zum Ostufer des Sees ist auch als Seewinkel bekannt. Hohe Luftfeuchtigkeit, unter anderem verursacht durch die Nähe zum Wasser, trockene Sommer mit moderaten Niederschlägen und herbstlicher Nebel begünstigen die Bildung der erwünschten und begehrten Edelfäule (Botrytis cinerea), die erst die süssen Hochkaräter möglich macht. Hier kommen Sorten zur Geltung, die sonst keine bedeutende Rolle in Österreich spielen, nämlich die aromatischen Traminer, Muskat-Ottonel und Sämling 88 (die alte Züchtungsbezeichnung für die Scheurebe, der die Österreicher überwiegend die Treue hielten). Auch der Muskateller wird gern für Süssweine genutzt. Seit 2017 ist zudem der in Südtirol stärker verbreitete Rosenmuskateller offiziell zugelassen. Süsswein-Pionier Alois Kracher (1959 bis
2007), der seinen Heimatort Illmitz durch seine Kreationen weltweit bekannt machte, war Vorreiter und pflanzte diese Rebe, als ihr Anbau noch verboten war.

Die ab 2006 gewonnenen Trockenbeeren-auslesen wurden als «teilweise vergorener Traubenmost» offeriert, eine Rose auf dem Etikett signalisierte die Sorte. Im See-winkel zeigt ausserdem der Welschriesling, dass er nicht nur – wie in der Steiermark – anregende, würzige trockene Weine liefert, sondern auch mit raffinierter Frucht auftrumpfen kann. Jetzt ist ein Seitensprung angebracht, hinüber auf die andere Seeseite zur Heimat des Ruster Ausbruch, der nur auf den Fluren der 2000-Einwohner-Stadt gewonnen werden kann. Den Herkunftsschutz mit den drei Buchstaben DAC geniessen die Winzer erst seit 2020. Er gilt für einen edelsüssen Weisswein, der mit einer Trockenbeerenauslese gleichgesetzt werden kann. Nur Trauben, die mit dem Edelschimmel Botrytis befallen sind, dürfen verwendet werden. Die Bezeichnung  «Ausbruch» stammt von der Handselektion der Beeren, dem «Ausbrechen». Da bei der Kelterung der Saft oft nur zögerlich abfliesst, kann etwas frischer Most zur Auslaugung hinzugefügt werden. Verwendet werden darf auch eine Traditionssorte, die in Ungarn vor allem in der Tokajer-Region zu Hause ist, aber auch schon früher am Neusiedlersee heimisch war: Furmint ist seit 1987 in Österreich zugelassen und feiert seit einigen Jahren eine fröhliche Renaissance als edelsüsser und trockener Wein.

Die Ruster pflegen diese Art der Weingewinnung seit Jahrhunderten, sahen sich aber immer wieder konfrontiert mit Ausbruch-Weinen aus anderen Gebieten bis hin zur Steiermark. Deshalb haben sie lang um die DAC-Bezeichnung gekämpft. Die 1991 gegründeteVereinigung Cercle Ruster Ausbruch war hier besonders aktiv. Ob der Verein in der aktuellen Form mit zehn Mitgliedern fortbesteht, ist allerdings nicht sicher. Laut Wortführer Kurt Feiler (Weingut Feiler-Artinger) muss durch die DAC-Anerkennung ein neuer Trägerverein gegründet werden, der auch zuständig für die Überwachung der weinrechtlichen Regeln sein wird. «Cercle» steht für eine vornehme geschlossene Gesellschaft, die aber durch die DAC für alle offen wird…

Fassen wir nun beide süssen Seeseiten wieder zusammen und stellen fest: Hier werden seit Langem hochkarätige Weine erzeugt, die mit den bedeutenden Süssweinen der Welt locker mithalten können. Und sie haben das beste Preis-Wert-Verhältnis von allen. Selbst Trockenbeerenauslesen kosten in der üblichen 0,375-Liter-Flasche oft weniger als 20 Euro – sehr wenig für die vielen Glücksgefühle, die sie vermitteln.