Tradition trifft Moderne • Dossier Österreich 2022

Wein und Winzer im Kamptal

Text: Harald Scholl, Fotos: POINT OF VIEW / Robert Herbst, RWK Kamptal, www.pov.at, Rainer Mirau, ÖWM, Chris Rogl, Anna Stöcher, Andreas Hofer, z.V.g.

Als Tourist ist man stets auf der Suche nach der idealen Mischung aus Neuem und Bekanntem; es soll spannende Entdeckungen geben, gleichzeitig schätzt man bewährte Qualitäten. Genau das bietet das Kamptal. Gerade die Mischung aus Tradition und Moderne in Architektur, Kulinarik und vor allem in der Weinstilistik macht das Anbaugebiet zum Sehnsuchtsort für Geniesser.

Wenn man das Kamptal entdecken, vielleicht sogar verstehen will, startet man im Idealfall in Österreichs Weinhauptstadt Langenlois. Auch wenn dieser Begriff ein wenig verwirrend anmutet angesichts der gemütlichen, fast ländlichen Art der 7500 Einwohnerstadt. Dennoch ist die Stadt am Loisbach weit davon entfernt, ein Provinznest zu sein. Das beste Beispiel für den wachen Geist, der hier weht, liegt mitten im Ort: das «Loisium». Schon von aussen zeigt das mit 680 Aluminium-Platten verkleidete Gebäude seine Einmaligkeit. Oberirdisch ein 17 Meter hoher, futuristisch anmutender Kubus, der um fünf Grad in Richtung Süden geneigt, die Sonne wie ein Weinberg einzufangen versucht. Unter dem Gebäude sorgen bis zu 900 Jahre alte Kellergänge für mystisch-eindrucksvolle Weinerlebnisse. Und in den grosszügigen, überirdischen Räumen lässt sich das Kamptal rund um das Thema Wein entdecken. Die Vinothek mit allem, was Niederösterreich zu bieten hat, ein Bistro mit Weingartenblick, regionale Spezialitäten im Shop – alle Details aufzuzählen würde den Rahmen sprengen, aber einen Tag sollte man definitiv einplanen, um die «Loisium WeinWelt» einigermassen erfassen zu können.

Langenlois ist auch deshalb so wichtig für das Kamptal, weil es mit den dazugehörigen Orten Gobelsburg, Mittelberg, Reith, Schiltern und Zöbing – im Österreichischen Katastralgemeinden genannt – einen regelrechten Weinballungsraum bildet. Dabei hat jeder dieser Orte seinen ganz eigenen Charakter und ist allein schon deshalb einen Besuch wert: Gobelsburg mit dem unter Weinfreunden bekannten Schloss, Mittelberg mit seiner charakteristischen Kellergasse, Reith, das idyllische Weindorf mit den ursprünglichen Naturerlebnissen, Schiltern, das sich auch als Gartendorf einen Namen gemacht hat, und natürlich Zöbing, der Ort am Fusse des legendären Weinbergs Heiligenstein. Allesamt Ortsnamen, die sich mit bekannten Winzerinnen und Winzern verbinden. Beim Spaziergang durch die Gassen und Weinbergslagen fallen dann auch immer wieder Namen bekannter Betriebe ins Auge. Was die meisten von ihnen verbindet, ist der Bezug zur Lage, den Rieden. Die Winzer des Kamptals setzten schon sehr früh auf die Lagen, auf die klar benannte Herkunft ihrer Weine.

Daraus resultierend gibt es einige jahrhundertealte Namen, wie Käferberg, Loiserberg, Heiligenstein, Schenkenbichl, Steinhaus oder Steinmassl. Rund 150 Weinbergslagen sind im Kamptal bekannt und benannt, dazu kommen noch etliche Subrieden, in Deutschland nennt man sie Gewanne. Wer angesichts dieser Vielfalt den Überblick behalten und sich vielleicht auf den Weg zu «seiner» Lieblingsriede machen möchte, wird unter der Internetadresse www.riedenkarten.at fündig. Ein digitales Kompendium, das bis auf die Steiermark alle Weinbergslagen Österreichs erfasst hat. Da der Stil jedes Weines überwiegend von der Bodenbeschaffenheit und dem Klima beeinflusst wird, sind die Riedenkarten auch ein gutes Mittel, um bestimmte Geschmackstypizitäten nachvollziehen zu können. Denn es ist das Weinbaugebiet, das zu einem grossen Teil über den Charakter eines Weines bestimmt. Der Geschmack des Kamptals zeigt sich am klarsten und deutlichsten bei den beiden Leitrebsorten Grüner Veltliner und Riesling. Auch deshalb dürfen nur exakt definierte Weine aus diesen Rebsorten die kontrollierte Herkunftsbezeichnung Kamptal DAC tragen. Schliesslich sind sie so etwas wie die Visitenkarten der Region.

Geologische Besonderheiten

Auf den Riedenkarten gewinnt man zusätzlich einen ziemlich genauen Eindruck von den unterschiedlichen Gesteinsformationen, die das Kamptal prägen, in den Beschreibungen zu jeder einzelnen Lage ist der Boden ausführlich beschrieben. Im Kamptal finden sich grundsätzlich vier Gesteinsformationen, die in wechselnden Zusammensetzungen und Ausprägungen die Böden der Weinberge bilden: Löss, Schotter, Urgestein und Sandstein. Diese vier Gesteinsarten sind das Fundament für ein buntes geologisches Mosaik. Sie verteilen sich über das ganze Anbaugebiet und sind der Beleg für ausgetrocknete Meere und Vulkane, von urzeitlichen Verlagerungen in Flussbetten und von Anwehungen von Flugstaub während der Eiszeiten. Zu den verschiedenen Böden kommen Unterschiede in der Exposition und in der Höhenlage zwischen 190 und 450 Metern. Das alles zusammen ergibt eine erstaunliche Vielfalt an geologischen Zusammensetzungen und sorgt dafür, dass das relativ kleine Anbaugebiet über einen enormen Facettenreichtum verfügt. Ein Beispiel ist der schon erwähnte Heiligenstein. Mit ihm hat das Kamptal eine der markantesten Lagen ganz Österreichs und eine mit einem ganz besonderen Boden: ein Wüstensandstein mit vulkanischen Bestandteilen aus der 270 Millionen Jahre alten Permzeit. Auf den steilen Terrassen am Südhang dieses langgezogenen Bergrückens – so steil, dass keine dauerhafte Lössauflage angeweht werden konnte – wurzeln hauptsächlich Rieslingreben. Sie bringen ausgesprochen kraftvolle, mineralische und vor allem äusserst langlebige Weine hervor. In Richtung Donau verändern sich die Bodenformationen der Weinberge. Die Anbauflächen sind weniger steil, die breiten Löss- und Lehmterrassen bieten die idealen Voraussetzungen für klassische, aber auch kräftige Grüne Veltliner.

Ein weiteres Kennzeichen: Das Kamptal liegt an der Randzone zum Waldviertel, von dort kommen kühle Faltenwinde, die dafür sorgen, dass es eine hohe Tag-Nacht-Differenz bei den Temperaturen gibt. Tagsüber drückt warme Luft von der Donau kommend in die Weinberge, abends um 20 Uhr dreht diese Luftströmung. Dann kommt der Wind aus dem Westen, dem kühlen Waldviertel, und die warme Luft wird wieder zurück in Richtung Donau gedrückt. Diese Dynamik zwischen dem heissen, pannonischen Becken im Osten und dem kühlen Waldviertel im Nordwesten spürt man auch in den Weinen. Denn das Spiel zwischen der Hitze am Tag und den eher zurückhaltenden Nachttemperaturen verleiht den Trauben grosse aromatische Finesse und sorgt für eine lebendige Säure.

Im Kamptal wurde das Thema Qualitätswein schon sehr früh gespielt. Die Region war eine der ersten, die ihre besten Weine in Flaschen füllte, auch weil man die ausländischen Märkte von Anfang an im Blick hatte. Was das betrifft, ist das Kamptal nach eigener Darstellung sicher führend und sieht den Export immer noch als eine echte Leistungsstärke. Die Kamptaler Winzer, ganz gleich ob gross oder klein, waren und sind auch in vielen weinbaulichen Fragen – nicht nur in Österreich – vorne dabei. Vor allem in Fragen der Nachhaltigkeit versuchen die Betriebe immer wieder Zeichen zu setzen. So ist das Kamptal seit der Ernte 2007/08 insektizidfrei, das gesamte Gebiet ist – Stand heute – über 90 Prozent herbizidfrei. Die nach wie vor wichtigste Rebsorte im Kamptal ist, wenig überraschend, der Grüne Veltliner, dazu kommen der Riesling und – mit etwa 15 bis 20 Prozent der Rebfläche– die Rotweine. Aus Zweigelt, Pinot Noir und Sankt Laurent werden betont kühle und elegante Weine gekeltert, die es zu entdecken gilt. Immer stärker werden aber die Weine der Burgundergruppe. Weissburgunder, Grauburgunder und Chardonnay waren traditionell schon immer sehr gut vertreten im Kamptal. Ihre Anbaufläche wächst trotzdem kontinuierlich, denn die Kamptaler Winzerinnen und Winzer haben ein weiteres, hochinteressantes Betätigungsfeld gefunden:

Next big thing: Bubbles!

Das Kamptal ist trotz aller Tradition eine dynamische Weinregion. Sie ist ganz sicher bekannt geworden durch grosse Stillweine aus Grünem Veltliner und Riesling. Seit einigen Jahren kommt aber ein neues Spielfeld dazu, das Kamptal hat sich vom Ausland nahezu unbemerkt zur Sekthochburg Österreichs gemausert. Vor gut 30 Jahren waren es zunächst einige Kamptaler Spitzenwinzer, die begonnen haben, ihre leichten, mit frischer Säure brillierenden Grundweine mittels traditioneller Flaschengärmethode zum Schaumwein zu veredeln. Die Ergebnisse sorgen seitdem in der Fachwelt und bei den Geniessern für Erstaunen. Und österreichweit sogar für einen neuen Trend: Winzersekt!

Die bekanntesten stammen noch immer von jenen Betrieben, die auch für die hohe Qualität ihrer Stillweine bekannt sind. Es rücken aber immer mehr junge Winzerinnen und Winzer nach, die sich mit dem Thema Stillwein gar nicht aufhalten und stattdessen konsequent auf Schaumwein setzen. Der Vorsitzender des regionalen Weinkomitees, Rudolf «Rudi» Rabl, ist sogar davon überzeugt, dass das Kamptal zu dem österreichischen Sekt-Hot-Spot werden dürfte – gerade weil es eine enorme Vielfalt an Stilen gibt. Das Weingut Steininger macht aromatische Rebsorten-Sekte, Bründelmayer und Schloss Gobelsburg stehen für traditionelle Sekte im Stil der Champagne, und junge Leute wie Christina Hugl setzen auf Pet Nat und die Méthode Ancestrale. Was man dagegen vergeblich sucht, sind spezielle «Sekt-Weingärten». Die Grundweine für die Sekte entstehen aus denselben Weingärten, in denen auch die renommierten Stillweine wachsen. Die Trauben zur Sektherstellung werden nur früher gelesen, nämlich genau dann, wenn Säure und Reife genau auf dem Punkt sind, d. h., in der richtigen Balance. Vor allem die Säure ist wichtig, sie sorgt für die Frische im späteren Sekt. Ein weiteres Merkmal der Kamptaler Winzersekte ist die enorme Vielfalt des Angebots. Neben den klassischen, an den Vorbildern aus der Champagne angelehnten weissen Sekt-Cuvées sowie den beliebten Rosés findet man elegante Jahrgangs-Cuvées und reinsortige Schaumweine. Und auch hier bilden die raren Lagensekte so etwas wie die Spitze der Qualitätspyramide. Auf jeden Fall eine Entdeckung, die sich lohnt. Wer sich also auf den Weg ins Kamptal macht, sollte den Besuch bei dem einen oder anderen Sekt-Winzer unbedingt einplanen.