#weinheimatwürttemberg

Freiwillige vor!

Text: Benedikt Ernst, Fotos: z.V.g.

Wengert statt Wehrdienst: Im Rahmen eines Freiwilligendienstes in den Nullerjahren entdeckte Benedikt Ernst im Zabergäu seine Leidenschaft für Wein. Hier erzählt der Wein-Redakteur von essen & trinken von seinem prägenden Jahr.

Die Liebe zum Wein kann einen auf vielen Wegen ereilen; die einen werden von Freunden oder Familienmitgliedern in den Bann gezogen, die anderen stoßen zufällig im Urlaub darauf, und für manche reicht schon ein Glas vom richtigen Wein im richtigen Moment, um nachhaltiges Interesse zu wecken. Ich gehöre wohl zur letzten Gruppe – es war ein Württemberger Riesling, serviert in einem Metallbecher zu Bratwurst und frischem Salat an einem Herbstmittag im Jahr 2006. Seit Kurzem gehörte ich zum Team von WINO Biolandbau in Brackenheim, und wie in jeder Mittagspause während der Weinlese hatten Elsbeth und Reinhold, die Eltern meines Chefs Jürgen Winkler, den Grill angefeuert. Die gemeinsamen Mahlzeiten mit der Lesemannschaft im Wengert zählten definitiv zu den Highlights meines FÖJ im Zabergäu.

Moment mal, FÖ..., was? Während das freiwillige soziale Jahr (FSJ) eine gewisse Popularität genießt, ist das freiwillige ökologische Jahr (FÖJ) noch immer deutlich unbekannter, obwohl es damals wie heute eine großartige Möglichkeit bietet, sich nach der Schulzeit beruflich auszuprobieren und weiterzubilden, ohne direkt eine Verpflichtung über mehrere Jahre einzugehen. Über die Websites der entsprechenden Träger in den Bundesländern finden sich Einsatzstellen in zahlreichen Berufsfeldern, von ökologischer Landwirtschaft über Umweltbildung und Tierschutz bis hin zu NGOs, die sich für nachhaltige Zwecke in bestimmten Spezialbereichen engagieren. Viele Freiwilligendienste wurden damals auch als Ersatz zum Wehr- oder Zivildienst anerkannt – für mich als begeisterten Kulinariker war ein Jahr in der ökologischen Landwirtschaft natürlich deutlich attraktiver. Besonders spannend fand ich die wenigen Einsatzstellen, an denen auch Weinbau betrieben wurde. Als gebürtiger Oberfranke wusste ich vieles über Bier, in Sachen Wein gab es jedoch dringenden Nachholbedarf. Ich bewarb mich bei vier Betrieben in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, landete letztendlich bei WINO und bezog wenige Monate nach dem Abitur mein Zimmer auf dem Aussiedlerhof am Rand von Brackenheim.

Große Teile meiner Arbeit für die Familie Winkler drehten sich um Obstanbau. Bei WINO werden neben klassischen Kulturen wie Äpfeln, Birnen, Zwetschgen, Kirschen und Beeren auch Exoten wie Kakis und Weinkiwis angebaut und über einen Biokisten-Lieferdienst vermarktet. Mein Herz schlug aber von Anfang an für den Weinbau– WINO erzeugte Trauben für die Bio-Weine der Weingärtner Brackenheim (heute Weingärtner Stromberg-Zabergäu), von Klassikern wie Trollinger, Lemberger und Riesling über Spezialitäten wie Samtrot bis hin zur Piwi-Rebsorte Regent. Zwar markierte die Lese für mich den Start ins Weinjahr, faszinierender fand ich jedoch alles, was danach kam: Sei es der Rebschnitt, bei dem ein so großer Teil der Pflanze entfernt wird; das Biegen und Befestigen der Fruchtruten bei Minusgraden; das Bangen vor frostigen Temperaturen während des Austriebs oder schließlich die Verwandlung der winzigen Blüten zu prallen Trauben. Darüber hinaus lernte ich, was «bio» wirklich bedeutet: Womit betreibe ich Pflanzenschutz, wenn Chemie tabu ist? Welche Begrünung wirkt sich positiv auf die Zusammensetzung der Böden aus? Und wie wird man eigentlich das nervige Unkraut los? Die Antwort auf die letzte Frage lautet natürlich «mit der Hacke» – auf diese Erfahrung hätte ich zugegebenermaßen verzichten können. Fester Bestandteil eines FÖJ ist auch die freie Durchführung eines eigenen Projekts. Ich beschäftigte mich mit der Bedeutung von Nützlingen im Wein- und Obstbau und siedelte Wildbienen im Betrieb an, indem ich Bienenhotels aus ausgemusterten Großkisten für die Apfelernte baute. Bei meinem letzten Besuch 2018 waren sie zum Teil noch immer in Benutzung.

Die Möglichkeit, verschiedene Weinberge rund um Brackenheim über ein komplettes Jahr zu begleiten, hat mir ein grundlegendes Verständnis für die Hintergründe der Weinerzeugung vermittelt. Dieses Verständnis ist deutlich tiefer, als es durch reines Bücherwissen möglich gewesen wäre. Von der praktischen Erfahrung in der Landwirtschaft konnte ich in meinem theoretisch geprägten Studium der Ökotrophologie stark profitieren, nicht nur auf der fachlichen Ebene, auch auf der persönlichen. Immerhin war der Umzug in den Zabergäu auch gleichbedeutend mit dem Auszug aus dem elterlichen Haushalt, dem ersten festen Job und der damit verbundenen Selbstverantwortung – prägende Erfahrungen, die ich zu Beginn des Studiums vielen Mitstudierenden voraushatte. Allen Schülerinnen und Schülern mit einem Faible für Wein kann ich ein solches «Reinschnuppern» nur empfehlen, ob in Form eines FÖJ oder im Rahmen eines längerfristigen Praktikums. Der Job ist hart, aber er bereichert einen nachhaltig und öffnet viele Türen. Und wo sonst arbeitet man an einem derart schönen Produkt?