Die Ethik der ganzheitlichen Sicht

Pontet Canet

mit Justine und Alfred Tesseron und Verwalter Jean-Michel Comme

  • Justine (links) und Alfred Tesseron (ganz rechts) mit Weinunikum Jean-Michel Comme im neuen Niederstromkeller von Pontet Canet.

Auf Pontet Canet zelebriert eine Familie, vertreten durch Justine und Alfred Tesseron, in einer einmaligen Symbiose mit dem erfahrenen Weinschöpfer Jean-Michel Comme den gesamtheitlichen Weinbau des dritten Jahrtausends. Resultat ist einer der einzigartigsten Rebensäfte der Welt.

Pontet Canet gehört zu den ersten Spitzengütern der Region, die zertifiziert biodynamisch arbeiten. Natürlich sind wir nicht zur Biodynamie gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Dahinter stecken Jahre der Reflexion. Ich bin Sohn eines Landwirts. Ich habe Agronomie und Önologie studiert. Auf Pontet Canet arbeite ich mittlerweile fast 30 Jahre. Zuerst natürlich völlig konventionell, wie alle und jeder. Was mein Leben von Grund auf verändert hat, ist die Konfrontation mit den Arbeiten eines Mannes, der bis heute verkannt wird und völlig unbekannt verstorben ist. Francis Chabassou. Ihm gehört mein Dank und meine Hochachtung. Chabassou war Forscher an der nationalen Landwirtschaftsstelle INRA in Bordeaux. 1980 hat er ein Buch mit dem für die damalige Zeit extrem provokativen Titel «kranke Pflanzen durch Pestizide» (les Plantes malades de Pesticides») verfasst. Ein Forscher, der sich mit der Rolle der ausgewogenen Ernährung nicht nur des Menschen, sondern auch der Pflanzen befasste, galt damals als völlig verschroben. Nach der Lektüre dieses Buches wurde uns bewusst, wie sehr wir uns hatten manipulieren lassen. So konnte es einfach nicht mehr weitergehen. Wir mussten neue Wege gehen. Chabassou legte klar dar, was Pestizide bei Pflanzen bewirken: Man bekämpft Krankheiten damit, andere auszulösen, die man mit einer dritten bekämpft und so weiter. Wir wollten aus diesem Teufelskreis ausbrechen, auf dem wir endlos Bahnen drehten.

Wie alle haben wir uns zuerst in Richtung Bio bewegt. Doch irgendwie schien uns das eine zu enge Sicht der Dinge. Irgendwie ersetzten wir einfach den Teufel durch Beelzebub. Darum sagten wir uns: Wenn vernünftige Menschen wie Anne Claude Leflaive oder Olivier Humbrecht, die ich nur vom Hörensagen kannte, erfolgreich biodynamisch arbeiteten, musste das für uns doch

«Biodynamisch auf 80 Hektar in Pauillac? Alle lachten uns aus. Wir glaubten daran und machten einfach weiter, bis zur Zertifizierung. Heute sind wir in!»

auch möglich sein. Wir verfolgten die Idee über mehrere Jahre und starteten 2004 einen Versuch auf 14 Hektar. Es ging uns dabei nicht darum, zu testen, ob das funktionierte, sondern darum, in Erfahrung zu bringen, wie man einen Betrieb von 80 Hektar organisieren musste, um erfolgreich biodynamisch arbeiten zu können. Wir schafften uns keine Freunde damit, ganz im Gegenteil. Unser Umfeld reagierte mit Spott und Hohn. Doch Alfred Tesseron, der Verwalter, zuckte einfach die Schultern und sagte: Wir glauben daran und fahren weiter. Heute reagieren die Leute nuancierter. Die Biodynamik ist salonfähig geworden. So ganz daneben lagen wir damals folglich nicht.

Als ich 1989 auf Pontet Canet ankam, galt die ganze Aufmerksamkeit dem Unterhalt der Reben, nachdem in den 1980er Jahren die Gebäulichkeiten generalüberholt worden waren, die es damals wirklich nötig hatten. Auch ich konzentrierte mich damals vor allem auf den Rebberg, und das ist heute nicht anders. Führten andere ihre Besucher stolz durch ihre modernen Keller, fuhren wir sie im Elektromobil durch die Reben. Irgendwie war es da schon logisch, dass wir als erste der Region auf biodynamischen Anbau umstellten. Doch 15 Jahre nach der Umstellung war es Zeit für einen weiteren Schritt. Damit will ich nicht sagen, dass wir die Biodynamik aufgeben. Sie bleibt der Kern unseres Erfolges. Die Auseinandersetzung damit hat unser Denken geprägt und uns weiter gebracht, über eine gewiss lobenswerte und erfolgreiche Anbaupraktik hinaus. Alle Welt spricht von gesamtheitlicher Sicht: Wir glauben daran und leben sie. Der biodynamische Anbau ist Teil unserer Ethik, genauso wie Arbeiten im Einklang mit der Natur, Respekt der Umwelt, Respekt vor unserer Geschichte, der Arbeit früherer Generationen.

 

Die nachhaltige Sicht der Dinge

Wir arbeiten seit Jahren mit Pferden. Aus vielen Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen will. Und wenn ich sage, arbeiten, meine ich das auch so. Pferde sind hier nicht Schaustücke, die nur in Strassennähe durch die Reben kutschieren. Als es darum ging, neue Stallungen zu bauen, wollten wir dafür nicht einfach Gussbeton
verwenden mit einer Schicht aus falschem Stein, um auf authentisch zu machen. Das wurde hier bis vor 20 Jahren gemacht, weil es einfach an Mitteln für etwas anderes fehlte. Doch zu unserer heutigen Sicht der Dinge passte das nicht. Wollten wir kohärent bleiben, auch die neuen Gebäude sollten unsere ethische Dimension ausdrücken. Von da weg kam ein Stein zum anderen, und aus dem Bau von Stallungen wurde ein immer weitere Kreise ziehendes Gesamtkonzept. Alle unsere Überlegungen mündeten in den Arbeiten, die wir in den letzten zwei Jahren unternommen haben und die nach und nach ihren Abschluss finden. Wir liessen uns dabei vom Weinbaubetrieb im 18. Jahrhundert inspirieren, natürlich unter Einbezug der heutigen Mittel und auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Wir verwendeten ausschliesslich einheimische Hölzer (wie kann man am Rand des grössten Föhrenwalds Europas leben und Tannenholz aus Skandinavien einfliegen lassen?), Stein und Kies vom Hof hier, echtem Bruchstein aus der Region, von unseren eigenen Handwerkern, Steinmetzen, Maurern verarbeitet, mit Faserhanf isoliert und anderes mehr. Das verstehen wir unter ethischer Dimension. Entstanden sind so nicht nur die Stallungen, sondern auch Wohnungen für Angestellte (Pontet Canet war früher ein kleines Dorf!), Werkstätten, ein neuer Gärkeller. Rasch stellte sich die Frage nach dem Energiehaushalt. Wir haben wir uns für Erdwärme entschieden. Dank 67 Bohrungen haben wir heute Wasser zur Verfügung, das in geschlossenem Kreislauf bei einer natürlichen Temperatur von 15 Grad zirkuliert. Es ist energie sparender, Wasser zum Kühlen von 15 auf die benötigten 7 Grad zu bringen statt durch ein Kühlaggregat auf dem Dach unter der brennenden Sonne von 30 Grad. Das Gleiche gilt, wenn man heizen muss, weil es draussen 0 Grad ist. Unser Projekt ist so konzipiert, dass bis in einigen Wochen das ganze Gut von der Erdwärme profitieren kann, nicht nur die neuen Gebäude. Auch da geht es uns um Kohärenz. Man kann nicht grosse Sprüche machen und dann nur die Hälfte davon verwirklichen. Das heisst zum Beispiel auch, dass für die neuen Dienstwohnungen der Angestellten genau die gleichen Vorgaben galten wie für den Rest, was Materialien, ethische Bauweise und Energiehaushalt anbelangt. Auch sie werden mittels Erdwärme beheizt.

Weil wir ebenfalls einen neuen Gärkeller brauchten, nahmen wir das zum Anlass, unsere ganze Weinbereitung zu überdenken. In den 15 Jahren biodynamischen Anbaus hat sich die Physiologie unserer Trauben und deren Häute verändert. Unser Weinbereitungsprozess trug dem zu wenig Rechnung, trotz aller Anpassungen. Man kann verbessern und verbessern, doch irgendwann einmal entsteht ein Flickwerk, und dann ist es besser, von vorne zu beginnen. Genau das haben wir getan. Wir wollten dem Wein eine Umgebung geben, in der er in Harmonie entstehen kann, ohne störende Einflüsse von aussen. Vor den Umbauarbeiten suchten und fanden Fachleute mit einem einfachen Messgerät elektrische Leitungen einen Meter unter dem Boden. Ich weiss nicht, ob elektrische Leitungen, die nur 10 oder 20 Zentimeter vom Wein entfernt gelegt werden, einen schlechten Einfluss auf den Wein haben: Einen guten haben sie gewiss nicht. Folglich ist es besser, darauf zu verzichten. Am liebsten hätte ich einen Keller ganz ohne Elektrizität gebaut. Doch für ein komfortables Arbeiten brauchte es Licht: Wir haben uns folglich für Leds von zwölf Volt entschieden, die durch abgeschirmte Schwachstromkabel eingespeist werden. Ausser diesen gibt es keine anderen Stromleitungen im neuen Keller, keine Steckdosen, keine Maschinen. Die ersetzen wir durch Muskeln und Schwerkraft. Wir haben simple Lösungen gefunden, die nicht mehr Arbeitskräfte fordern als vorher, denn die Kosten der Weinbereitung sollen auch zu Krisenzeiten tragbar bleiben. Wir haben ganz einfach die Leute, die vorher an den mechanischen Söndertischen standen, anders eingesetzt. Ein Mitarbeiter leert ein Kistchen mit sieben Kilo Trauben auf einen Tisch, und statt zu warten, bis die Traube per Fliessband an ihm vorbei gleitet, stösst eine Person die Trauben weiter, die anderen sondern schlechtes Lesegut aus, die Trauben kommen auf einen Rost und werden von Hand entbeert, ganz ähnlich, wie das früher gehalten wurde. Der einzige Unterschied: Heute ist alles Material aus rostfreiem Stahl statt aus Holz. Vom Rost aus fallen die Trauben direkt in den Gärbehälter. Einfacher geht es nicht, besser kann man die Traube nicht respektieren. Der Tresterhut wird später von Hand mittels eines einfachen Werkzeugs gerade so weit in den Saft gestossen (Pigeage), dass er angefeuchtet wird. Die kleinen Gärtanks von 40 Hektolitern wurden aus gewaschenem Sand und Kies des Hofes hier gegossen. Was ihre Proportionen angeht, haben wir uns an den goldenen Schnitt gehalten. Harmonie, Ethik, Einheit von Mensch und Natur, von Ort und Zeit, sind Fundamente der Existenz, die so offensichtlich sind und doch oft übersehen oder als Phantasterei abgetan werden. Uns liegen sie am Herzen. Das ist die Botschaft, die unser Wein vermitteln soll.