World of Champagne 2023 • Grüne Perlen

Champagner, das Anti-Krisen-Elixier

von Rolf Bichsel, Fotos: Rolf Bichsel und Barbara Schroeder

Die Nachfrage steigt: Champagner war noch nie so gesucht wie heute. Das hat nicht nur mit seiner weiter wachsenden Qualität zu tun. Champagner verscheucht Melancholie und Trübsinn, besonders zu Krisenzeiten.

Was wollen Sie zuerst hören? Die gute oder die schlechte Nachricht? Die gute: Champagner war noch nie so beliebt. Die schlechte: Champagner wird zur Mangelware. Mit Lieferschwierigkeiten haben gerade bekannte Marken zu kämpfen. Gross ist die Nachfrage aus mehreren Gründen. Champagner hat in den letzten 20 Jahren qualitativ enorm zugelegt. Es gibt immer weniger schlechten Champagner. Ferner ist zurzeit alles im Trend, was Leichtigkeit, Unbeschwertheit und Frische vermittelt: Weisswein, Rosés und Rebensäfte, die fröhlich perlen und schäumen. Die Beliebtheit des Champagners gefördert haben auch die jüngsten Krisen. Er ist, ganz gegen seinen Willen, aber nicht ganz von ungefähr, zu einer Art Kriegsgewinnler geworden.

Da ist einmal die Klimaproblematik. Wie überall hat die fortschreitende Klimaveränderung auch hier Reflektionen zum Thema Umwelt, Nachhaltigkeit und Artenvielfalt ausgelöst. Die neue Winzergeneration, die heute im Rebberg und im Keller arbeitet, ist nicht nur mit dieser Problematik gross geworden, sie hat sich ganz ernsthaft darauf vorbereiten können, nicht selten durch ausgiebige Schulung. Sie hat keine Berührungsängste und wendet einschlägige Methoden ganz pragmatisch an, ohne daraus eine Religion zu machen. Kein Qualitätsbetrieb der Region verdrängt heute die Thematik: Grosse Häuser und Genossenschaften stellen gar Spezialisten ein, die mit strengeren Umweltnormen umgehen und Winzer kompetent beraten können.

Doch in der Champagne, ursprünglich eine klimatische Randzone des Weinbaus, hat die Klimaerwärmung auch einen positiven Effekt: Pflanzenschutz ist etwas einfacher geworden. Umweltnaher Anbau wird längst nicht mehr als gefährliches Hexenwerk abgetan. Hiess es noch bis in die 1990er Jahre, dass es in der Champagne pro Jahrzehnt nur zwei, drei grosse Jahrgänge gebe, ist das heute gerade umgekehrt. Der letzte spätreife Jahrgang, der dennoch ausgezeichnet geraten ist, war 2013, und das letzte klimatisch echt problematische Jahr war (nach 2011) 2021. Dessen stark eingeschränkte Erntemenge wird durch die mengenmässig grosszügige Ernte 2022 bereits wieder ausgeglichen. Auch wenn Champagnerwinzer in gewisser Hinsicht von der Klimaveränderung profitieren: Das heisst noch lange nicht, dass sie diese willkommen heissen. Die Trockenheit von 2022 hatte nur darum keinen negativen Einfluss auf die Qualität der Trauben, weil es 2021 anhaltend geregnet hat, was für gute Wasserreserven sorgte.

Die Tatsache, dass mehr und mehr Champagner heute 12,5 Volumenprozent Alkohol aufweisen statt wie früher 12, mag sich bisher nicht negativ auf die Harmonie eines Champagners ausgewirkt haben, weil der etwas höhere Alkoholgehalt noch gut durch die natürliche Säure der Traube und eine tiefere Dosage ausbalanciert werden kann. Doch weiter darf der Alkoholgrad nicht steigen, soll Champagner Champagner bleiben. Zunehmende klimatische Phänomene wie Hagel oder Spätfröste machen ferner auch den Champagnerwinzern zu schaffen.

Doch nicht nur praktische Erwägungen fördern das Umweltbewusstsein. «Natürlich wäre es aus heutiger Sicht besser, wir hätten schon vor 20 oder 30 Jahren damit begonnen, wieder Bäume und Sträucher zu pflanzen. Doch besser spät handeln als gar nicht!», sagt der Kellerchef eines bekannten Grossbetriebs. Er hat recht. So gesehen ist nicht einmal relevant, ob hinter der Tatsache, dass alle grossen Marken sich mit Projekten zur Verbesserung der Umweltbilanz auseinandersetzen, gutes Marketing steht. Wenn es nützt und Früchte trägt, ist selbst «Green Washing» akzeptabel. Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt, wird Fortschritt in zu kleinen Schritten erzielt. Doch leugnen lässt er sich nicht. Das gilt quer durch alle Kategorien, vom selbstkelternden Winzer über Genossenschaften bis hin zu den grossen Marken.

Als die Covid-Epidemie ausbrach, kam die Champagner-Ausfuhr praktisch zum Erliegen. Die Region gleite, so quakten Wetterfrösche, direkt in die Pleite. Kaum zwei Jahre später ist Champagner Mangelware. Wie angetönt ist nicht die kleine Ernte 2021 daran schuld, deren erste Weine nicht vor 2023 erhältlich sein werden. Schuld ist die gestiegene Nachfrage in der ganzen Welt. «Viele haben gespart, als sie nicht reisen konnten. Sie haben gelernt, wieder mehr zu Hause zu leben, in den eigenen vier Wänden zu geniessen. Die Krise scheint immer weitere Kreise zu ziehen: Krieg, Energiemangel, Teuerung. Statt Ersparnisse zu horten, sagen sich viele: Ich leiste mir etwas ganz Besonderes, so lange ich noch kann», meint Fabrice Rosset, der Generaldirektor von Deutz. Seine These wird durch die Tatsache untermauert, dass nicht (nur) die Nachfrage nach Brut ohne Jahrgang gestiegen ist, sondern auch und gerade die Nachfrage nach erstklassigen Sondercuvées. Im Restaurant mit einem Faktor von drei bis fünf berappt, wird man wohl oder übel auf sie verzichten, doch zuhause bezahlt man dafür nicht mehr als für grosse Bordeaux oder Burgunder – mit dem unschätzbaren Vorteil, dass selbst Spitzencuvées trinkbereit ausgeliefert werden und nicht erst in 50 Jahren unvergessliche Momente bescheren.