Unter verkehrten Vorzeichen

Wineguide: Tannat aus aller Welt

Degustation: Thomas Vaterlaus, Miguel Zamorano, Text: Miguel Zamorano

Man kommt nicht häufig in die Situation, eine Rebsorte aus der Alten Welt mit der gleichen Sorte aus der Neuen Welt zu vergleichen. Liebhaber dieser (doch oft unterschiedlichen) Schulen drängen oft darauf, nicht beides in einer Verkostung miteinander zu vermengen. Eine Sorte, bei der sich eine Ausnahme lohnt, ist definitiv Tannat. Aus Südfrankreich in die Welt geschritten, sorgt sie besonders in Uruguay für Furore. Dass sie in diesem südamerikanischen Land so erfolgreich gedeiht, liegt auch daran, dass sie dort auf ganz andere Bedingungen trifft als alle anderen Sorten, die es über den Atlantik geschafft haben. Kühler ist es am südlichen Atlantik und gleichzeitig warm genug, dass die Sorte dort gut zur Reife gelangt. Der Rio de la Plata formt eine der grössten Flussmündungen der Welt, entsprechend bieten die Sedimentböden eine nährstoffreiche Umgebung. Dass Tannat in Uruguay an erster Stelle steht, ist übrigens erst seit den 1920er Jahren der Fall. Trotz seines Rufs exportiert das Land nur knapp fünf Prozent seiner erzeugten Weine ins Ausland. Einer der wichtigsten Märkte ist Brasilien, gleich in der Nachbarschaft. Die Tannate aus Frankreich erleben seit der Wiederentdeckung durch Alain Brumont in den 80er Jahren eine Wiedergeburt, die sich verheissungsvoll ankündigt. Von fast legendär langer Lagerzeit ist stets die Rede, wenn man über die Tannate in Frankreich spricht. Davon dürften wohl vor allem die Konsumenten in Frankreich etwas mitbekommen – nur knapp 20 Prozent des in Frankreich erzeugten Madirans findet den Weg ins Ausland. Die Franzosen, so scheint es, behalten ihren Tannat lieber für sich. Das spiegelt sich auch in der Zahl der Weine wider, die bei dieser Verkostung angestellt wurden.



Resultate, Analysen, Statements

«Ist Langlebigkeit nicht eher eine französische Tannat-Qualität? Diese Eigenschaft findet man auch in Uruguay.»

Miguel Zamorano VINUM-Redaktion

Besonders zugänglich sind die hier verkosteten Weine nicht. Tannat zeigt ein kräftiges Tannin, körnig, es zurrt die Struktur fest. Die Weine wirken wie eingeschnürt in einem Korsett. Gleichzeitig ist da eine Säure, die einen fast überfallartig am Gaumen überrascht. Charaktervoll ist eher das erste Wort, das einem bei der Verkostung einfällt. Es ist ein Wein, gemacht für die Nische, gemacht für eine Gemeinde von harten Liebhabern. So weit, so gut. Trotzdem überraschen die Ergebnisse dann ein wenig. Gleich auf die vorderen Plätze haben es Weine aus der Alten und Neuen Welt geschafft. Die Bodega Stagnari mit einem Wein aus dem Jahrgang 2013. Hatte man Langlebigkeit nicht eher den Tannaten aus Frankreich angedichtet? Alles ändert sich, alles bleibt gleich, möchte man meinen. Dass die Madiran in dieser Verkostung mit fast mediterraner Fülle über den Gaumen spazierten, entspricht dem Befund, den unser Frankreich-Team aus der grossen Madiran-Verkostung für die VINUM-Ausgabe 4 | 2021 mitbrachte. Mit entsprechender Charakteristik präsentiert die Domaine Berthoumieu einen 2018er, den man blind in Italien verorten könnte. Und so ist der bleibende Eindruck, eine Verkostung unter verkehrten Vorzeichen erlebt zu haben. Hier die robusten und gleichzeitig frischen Tannate aus Uruguay, dort ihre französischen Counterparts, die mit wolliger Fülle ins Glas fliessen. Der Holzausbau ist hier ein Must. Doch wie schmeckt wohl Tannat ohne diese ganzen Paraphernalia? Wir haben nach der Verkostung auch die Gewissheit, dass dies der Anfang einer Tannat-Ausseinandersetzung wird. Hoffen wir, dass wir dem Thema noch weitere Verkostungen widmen können.

«Mein Tipp: Tannat zuerst verkosten, bevor man eine kleinere oder grössere Menge Flaschen ordert.»

Thomas Vaterlaus VINUM-Chefredaktor

1992 publizierte VINUM einen Artikel über das damals noch kaum bekannte Madiran und seine Leitsorte, den Tannat. Der Winzer Alain Brumont und seine Kumpels würden mit Château-Weinen aus Tannat den vornehmen Bordeaux-Schlossherren bald gehörig Konkurrenz machen, hiess es in diesem Artikel. In der Folge brachten es Alain Brumont und seine Tannat-Selektionen (Château Montus, Château Bouscassé etc.) im deutschsprachigen Raum zu bemerkenswertem Ruhm. Journalisten prognostizierten dem Tannat aus Madiran eine steile Karriere, auch wenn die hohen Bewertungen dieser sehr tannin und oft auch säurebetonten Weine meist auf der vermuteten Lagerfähigkeit beruhten und weniger auf der aktuellen Trinkigkeit. Und so kam es, wie es kommen musste: Der Tannat-Hype ging wieder vorbei. Ohne Zweifel bringt die Sorte heute im Südwesten Frankreichs und auch in Südamerika, speziell in Uruguay, einige hervorragende Weine hervor. Und angesichts der häufiger werdenden Hitzejahre kann sie sogar für Winzer im deutschsprachigen Raum zu einer Option werden. Doch das Grundproblem bleibt: Lässt man den Tannat-Weinen ihren Gerbstoff und ihre Säure, finden sie oft selbst nach jahre- oder gar jahrzehntelanger Flaschenreife nicht zu trinkigem Charme. Trimmt man sie andererseits zu sehr auf Frucht und Würze, wirken sie oft etwas belanglos. Die VINUM-Verkostung beweist aber auch: Es gibt Tannat-Artisten, die es tatsächlich schaffen, aus der Sorte charaktervolle und doch trinkige Weine in die Flaschen zu bringen. Diese grossartigen Crus sind aber nicht die Regel, sondern noch die Ausnahme. Mein Tipp: Tannat zuerst verkosten, bevor man eine kleinere oder grössere Menge Flaschen ordert.

Die Top 10 der verkosteten Weine

RangBeschreibung
1
18,0/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Domaine Berthoumieu
2
18,0/ 20
Punkte
Canelones, Uruguay
Antigua Bodega Stagnari
3
17,5/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Domaine Berthoumieu
4
17,5/ 20
Punkte
Uruguay
Antigua Bodega Stagnari
5
17,5/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Vignobles Marie Maria
6
17,5/ 20
Punkte
Uruguay
Antigua Bodega Stagnari
7
17,5/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Vignobles Marie Maria
8
17,0/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Domaine Berthoumieu
9
17,0/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Domaine de Maouries
10
17,0/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Vignobles Marie Maria

Die Verkostung

Alle Weine wurden bei Produzenten und Händlern (aus Deutschland und der Schweiz) angefordert. Die Probe mit verdeckten Flaschen fand in den Zürcher VINUM-Räumlichkeiten statt. Thomas Vaterlaus und Miguel Zamorano verkosteten am 1. Februar 2023.

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