Komplexe und frische Rotweine aus der Tannat

Guide: Madiran

Verkostung und Text: Barbara Schroeder, Rolf Bichsel

Wer Madiran erwähnt, denkt wohl zuerst an die Weine von Alain Brumont. Der internationale Erfolg dieses Selfmademans in den 80er Jahren war Auslöser für Brumonts wichtigsten Verdienst: Er hat die alte lokale Sorte Tannat rehabilitiert, die bei hohen Erträgen recht rustikale Weine ergibt, einmal gezähmt aber besonders kräftige, gut strukturierte, langlebige Tropfen mit interessanter Beeren-Kräuter-Aromatik, in die sich mit der Reife Akzente von Bergamotte oder Grapefruit mischen. Der – heute praktisch zwingende – Fassausbau sorgt für zusätzliche aromatische Komplexität. Vorteil der Sorte: Selbst bei grosser Reife besitzt sie immer auch Frische.

Wenn dem Tannat nachgesagt wurde, er ergebe rustikale Weine und sollte daher mit Cabernet Franc und Sauvignon ergänzt werden, hat das historische Gründe. Nach der Reblauskrise lagen die schwer zu bestellenden, kargen Spitzenlagen an den Hängen brach: Angepflanzt wurden die fetteren und damit produktiveren Böden unten im Tal. Heute hat sich dies geändert. Angestachelt vom Erfolg von Brumont-Gütern wie Montus und Bouscassé haben mehr und mehr Winzer die besseren Lagen flottgemacht, Erträge reduziert und den Fassausbau wieder eingeführt. Das Resultat darf sich sehen lassen: Eine ganze Anzahl Güter produziert heute meist sehr preiswert gebliebene eigenständige, kräftige, würzige Rotweine, die eine wohltuende Ausnahme bilden im Meer der Einheitsweine internationalen Stils. Mit ihrem verhaltenen Feuer, ihrer kräftigen Struktur und der fast immer spürbaren Säure kommen sie dem Weinfreund schon mal echt italienisch vor.

Resultate, Analysen, Statements

«Rotweine aus Madiran? Das ist zu einer ganz schön heissen Sache geworden!»

Seit der letzten grossen Madiran-Verkostung sind Jahrzehnte verstrichen. Das kommt nicht von ungefähr. Nach dem ersten (kurzen) Boom Anfang der 90er Jahre wurde es international recht still um die Ecke. Die unbequemen Roten vom Pyrenäenrand machten vor allem lokal von sich reden. Bis heute werden nur gerade 20 Prozent der Madiran exportiert. International macht praktisch nur ein Produzent von sich reden: Brumont (Montus und Bouscassé). Der Direktvergleich der Weine dieses alten Freundes mit den Weinen anderer, teils unbekannter, Produzenten interessierte uns doppelt und dreifach.

Leider hat irgendein böser Geist einen Strich durch die Rechnung gemacht: Die Brumont-Weine trudelten erst am Tag der ohnehin schon auf den letztmöglichen Zeitpunkt verschobenen Verkostung bei uns ein. Ferner handelt es sich bei den Mustern um die Jahrgänge 2010 und 2011. Wir haben sie trotzdem geöffnet (am Tag der Postlieferung - eine Häresie, Weine sollten ruhen nach dem Transport), wenigstens ausser Konkurrenz. Wie immer sind sie tadellos gemacht, in einem mit keinem andern Madiran vergleichbaren Stil. Im Kontext der Verkostung wirkten sie imposant, feurig und wuchtig wie Amarone, und wir erinnerten uns nicht ganz ohne Sentimentalität an die einmaligen 1989er oder 1990er mit ihren 12,5 Volumenprozent. Was lehrt uns dies? Die ganze Weinbergsarbeit (Rebschnitt, Ertragsbeschränkung, Sonderung) war und ist wohl bis heute darauf ausgerichtet, perfekt reife Weine, ohne jede Rustikalität zu erhalten. Doch Madiran liegt im Süden, die Klimaerwärmung existiert. Auch hier gehört die Zukunft optimal gereiften Trauben, deren Zuckergehalt dennoch im Zaum gehalten werden kann. Das ist die eigentliche Herausforderung in den nächsten Jahren, nicht nur für die Vignobles Brumont.

«Madiran sind nicht nur originell und gut gemacht, sondern auch enorm preiswert.»

Rolf und ich arbeiten seit Jahrzehnten eng zusammen und haben es uns zur Gewohnheit gemacht, alle unsere Beiträge gegenzulesen und kritisch unter die Lupe zu nehmen. Meist sind wir gleicher Meinung. Mit Betonung auf «meist». Denn im Falle Madiran bin ich nicht ganz mit Rolf einig. Ich finde, Madiran verdient seine unterschwellige Kritik nur bedingt. Zwar machen auch mir hohe Alkoholgrade zu schaffen. Doch wenn sie, wie im Falle der meisten Madiran, mit Frische (das heisst, mit natürlicher Säure) ausgeglichen wird, finde ich das schon okay. Nicht alle Madiran mit «nur» 13,5 oder 14 Volumenprozent Alkohol sind rustikal, ganz im Gegenteil.

Ich mag die an Menthol oder Eukalyptus erinnernden Kräuterakzente vieler Weine, die sich so wohltuend vom Einheitsbrei unterscheiden, den wir fast rund um die Uhr vorgesetzt kriegen. Präsentiert Rolf mir Weine aus dem Piemont, der Toskana oder dem Douro, singt er ein Loblied auf die Tatsache, dass sie Frische und Fülle besitzen. Warum soll das französischen Weinen nicht gestattet sein? Ferner finde ich einen Gutteil der verkosteten Weine nicht nur besonders originell, sauber und gut gemacht, sondern technisch auf dem letzten Stand und auch enorm preiswert. Vergessen wir nicht, wir schränkten die Teilnahme ausnahmsweise nicht ein, die Verkostung illustriert wirklich exakt den weintechnischen Stand der Appellation, es fehlten nur die Weine der Genossenschaften. Rolf ist ein grosser Liebhaber von Champagner und grossen Weissen. Rotweine mag er erst, wenn sie Jahrzehnte auf dem Buckel haben und grösste Eleganz aufweisen. Auch daran ist nichts auszusetzen. Doch es gibt auch andere Gaumen und Leute, die temperamentvolle Rote schätzen und sie schon relativ jung geniessen werden – Madiran kommt da wie gerufen.

Die Verkostung

Zur Verkostung des jüngsten kommerzialisierten Madiran-Jahrgangs, meist 2017er oder 2018er, waren alle Produzenten der Appellation geladen. Knapp 20 Betriebe mit Interesse am deutschsprachigen Markt reichten Muster ein, darunter erfreulicherweise auch bislang völlig unbekannte. Verkostet wurden die Weine von Barbara Schroeder und Rolf Bichsel in ihren Räumlichkeiten bei Bordeaux. 

RangBeschreibung
1
17,5/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Domaine Berthoumieu
2
17,5/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Domaine Capmartin
3
17,0/ 20
Punkte
Süd-Westen, Frankreich
Château Viella

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