Winzerlegende Ernie Loosen

Mister Riesling

Text: Dirk Würtz, Fotos: Frank Becker

Ernie Loosen ist das Gesicht des Deutschen Rieslings. Kein anderer Winzer ist weltweit so präsent wie Loosen. Unermüdlich reist er um die Welt, um seine Spitzenweine zu vermarkten. Nebenbei produziert er mit anderen Spitzenwinzern auf drei Kontinenten grossartige Weine. Seine Mosel-Rieslinge zählen zu Recht Jahr für Jahr zu den besten Weinen des Landes.

Es ist, als ob man vor einem Dirigenten stünde. Ernst Loosen, «Ernie» genannt, gestikuliert wild. So wild, als wolle er ein gigantisches Flugzeug auf eine viel zu kleine Parkposition einwinken. Er ist hochemotional, der Ernie. Besonders dann, wenn es um für ihn wichtige Themen geht. «Früher hat man Wein getrunken, der einem geschmeckt hat. Heute sollen wir Ideologie trinken. So ein ausgemachter Unsinn!» Was Ernie meint, ist der für ihn so zwanghafte Umgang mit Doktrinen. «Schwefel, kein Schwefel. Zucker, kein Zucker. Alles Unsinn!» Ernie ist meinungsstark. Und er artikuliert selbige sehr deutlich. Mit Nachdruck und in einem rasanten Tempo, das seinesgleichen sucht. «Eruptiv» ist der passende Begriff. Man muss das erleben, um es zu verstehen. Diese Energie, die dieser Mensch ausstrahlt, ist sagenhaft. Er ist im allerbesten Sinne hyperaktiv.

Loosen, Jahrgang 1957, ist sicherlich eines der prägnantesten deutschen Weingesichter. Im Ausland ist er das deutsche Weingesicht schlechthin. Um die 250 Tage im Jahr ist er unterwegs. Er braucht das. Er will das. Und seine Mitarbeiter sind darum nicht unbedingt traurig. Ernies Energie kann viel sein. Loosen ist ein Wein-Welt-Bürger. «Das All-around-the-World-Ticket» ist seines. Immer einmal um die Welt in eine Richtung. «Das ist mega praktisch», meint er, «du fliegst immer mit der Zeit und kannst sofort anfangen zu arbeiten.»

Er ist ein echter Weinverkäufer. So einer vom alten Schlag. Klinken putzen ist sein Credo oder «Schlepp your bag», wie der Amerikaner zu sagen pflegt. «Das will heute keiner mehr machen», poltert es aus ihm raus. «Zehn Termine am Tag, mindestens. Kaltakquise halt.» Egal wo in der Welt. Loosens Weingut hat um die 75 Hektar und die hier erzeugten Weine wollen schliesslich verkauft werden. Aktuell gibt es Loosen-Wein in über 80 Ländern auf der Welt. Das ist wohl einmalig für ein deutsches Gut. Es dürfte keinen anderen deutschen Winzer geben, der eine derartige Distribution aufzuweisen hat. Zudem hat Loosen noch seine zweite Linie: «Dr. L.» Wie viel Wein davon um die Welt geschickt wird, verrät er nicht. Es dürften aber einige Millionen Flaschen sein. «Dr. L» ist eine der wenigen grossen deutschen Weinmarken. Man findet den Wein überall – im Zweifelsfall auch in der Dschungelbar in Kambodscha.

Riesling aus der ganzen Welt

Und als ob das nicht schon genug wäre, hat Loosen noch viele andere Projekte am Laufen. Seit 20 Jahren macht er in Washington State zusammen mit Château Ste. Michelle, dem grössten Riesling-Produzenten der Welt, einen Riesling. Er hat ein Weingut in Oregon, aus dem formidable Pinots kommen – demnächst übrigens auch ein Riesling. Und Ende des Jahres gibt es von ihm einen ersten Riesling aus Australien. Das alles ist Loosens Neugierde und seiner unendlichen Energie geschuldet. «Ich komme schon so lange nach Australien und immer dachte ich, es muss doch auch anders gehen, das mit dem Riesling dort. Das war mir immer alles zu leimig und zu trocken und so gar nicht charmant. Ein Riesling nach meinen Vorstellungen muss doch auch möglich sein.» Mit Jim Barry fand er den passenden Partner für dieses Projekt. «Also habe ich mal ein ordentliches Holzfass von uns nach Australien geschickt und dann haben wir einfach mal gemacht», erklärt er. «Ich weiss gar nicht, wie viele Holzfässer ich schon um die Welt geschickt habe. Bei uns reist alles», fügt er lachend hinzu.

Es wird überhaupt viel gelacht im Hause Loosen. Immer dabei ist Desiree Schröder. Sie macht den Vertrieb im Inland, seit zwölf Jahren. Und irgendwie managt sie auch ihren Boss. Die zwei sind ein gutes Gespann. Wenn Ernie wieder einmal extrem schnell weggaloppiert, holt sie ihn zurück. Es hat den Anschein, als ob das ganz gut funktionieren würde. Der Umgang miteinander wirkt sehr familiär, hoch professionell und ist geprägt von gegenseitigem Respekt und tiefer Zuneigung. Ernie erzählt von seinen Plänen, Desiree rechnet im Kopf blitzschnell die Machbarkeit aus. Danach folgt entweder ein deutlicher Widerspruch oder volle Zustimmung. Der Widerspruch hört sich allerdings eher wie die Massregelung einer Mutter an, die ihrem Teeniesprössling den möglichst raschen Gang ins Bett nahelegt.

20 000 Flaschen selber trinken?

Besonders deutlich wird Desiree Schröder dann, wenn es um besondere Weine und die dazugehörige Marotte des Hausherrn geht. Ernie Loosen möchte einen Teil seiner Wein eigentlich gar nicht verkaufen. Viel lieber will er sie behalten und beobachten, was passiert. Und trinken will er sie natürlich auch. Am liebsten mit Freunden. Die Vertriebschefin rollt mit den Augen, wenn es um dieses Thema geht. Weniger um ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen, sondern mehr um daran zu erinnern, um was es im Kern eigentlich geht. Dieses Nicht-Weggeben-Können ist nicht der eigentliche Sinn eines Weingutes.

«Früher hat man Wein getrunken, der einem geschmeckt hat. Heute sollen wir Ideologie trinken.»

Aber es ist ein Teil des Charmes des Gesamtkonzeptes Loosen. Es menschelt sehr im Hause Loosen. Nichts wirkt aufgesetzt, alles ist irgendwie selbstverständlich – selbst der unstillbare Drang zum Experiment, der bei Loosen allgegenwärtig ist. Mittlerweile liegen 20 000 Flaschen Sekt im Keller. Jedes Jahr wird ein Fuder aus dem Graacher Himmelreich versektet und bleibt für mindestens 20 Jahre auf der Hefe. Auf die Frage, ob das Projekt denn ein Erfolg sei, erwidert Loosen lapidar «Nö, das will keiner. Wir trinken das selbst.» Den Einwand, dass keiner mehr als 20 000 Liter Sekt selbst trinken kann, wischt er mit der Bemerkung weg: «Mein Neffe braucht ja auch noch was zum Trinken.» Der Neffe ist der potenzielle Betriebsnachfolger.

Kein dämlicher Schnickschnack

Wenn es um das Grundsätzliche geht, das, was die Loosen-Weine ausmacht, wird Ernie schnell ernst und bestimmt. Da gibt es kein Links und kein Rechts, da gibt es eine klare Philosophie. Und das seit beinahe 30 Jahren. Alle Weine bleiben mindestens ein Jahr auf der Vollhefe ohne Abstich, die grossen Weine mindestens zwei Jahre und länger.

Sie sind nicht knochentrocken, sie haben, wenn möglich, nicht mehr als 12,5 Prozent Alkohol und auf dem Etikett stehen nur die Namen der Grossen Lagen. Der Rest ist Gutsriesling. «So mache ich das hier seit 1988», erklärt er, «seit ich im Elsass war und dort die grossen Winzer kennengelernt habe und in meiner Bibliothek eine alte Mosel-Lagenkarte aufgetaucht ist.» Im Hause Loosen wird also schon lange das praktiziert, was der VDP final 2012 beschlossen hat. Da war er eine Art Trendsetter, der Ernie, wenngleich er so wenig trendy ist, wie man es sich überhaupt vorstellen kann. Sehr schön zu sehen ist das am Neubau im Weingut.

Vier Jahre wurde gebaut. Herausgekommen ist eine Vinothek, die so aussieht, als ob sie schon immer da gestanden hätte. «Ich hatte überhaupt gar keine Lust auf irgendeinen Würfel aus Glas und Stahl. Alles dämlicher Schnickschnack.» Ein Architekt aus dem Osten der Republik kam und zeichnete die Pläne. «Der hatte keinen Computer», erklärt Ernie, «der hat das alles tatsächlich von Hand gezeichnet.» Und dann wurde gebaut. Elbsandstein, tonnenweise, Handwerker, die schon die Frauenkirche in Dresden wieder mit aufgebaut haben und ein Kreuzgewölbe, bei dem jedem Kenner der Materie der Atem stockt. «Ich habe die Jungs, die das Kreuzgewölbe gebaut haben, mal gefragt, ob es so eine Art Garantie gibt, wie lange das hält. Immerhin kostet das ja einiges. Weisst du, was die geantwortet haben?», fragt er und strahlt über das ganze Gesicht. «So um die 500 Jahre!»

Pure Trinkfreude und grosses Potenzial

Wie kaum ein zweiter Winzer schafft es Ernie Loosen, Jahr für Jahr konstant gute Qualitäten auf die Flasche zu bringen und sich dabei treu zu bleiben. Keine Moden, sondern die Besinnung auf das traditionelle Weinmacher-Handwerk steht dabei immer im absoluten Vordergrund.

Dr. Loosen Weissburgunder 2018 Mosel, Deutschland

15 Punkte | 2019 bis 2021

Extrem klarer, präziser und zitrusfrischer Wein. Sehr süffig, null breit und keinerlei Trinkwiderstand. So stellt man sich einen ziemlich perfekten «Alltagswein» vor.

Dr. Loosen Blauschiefer 2017 Mosel, Deutschland

15.5 Punkte | 2019 bis 2022

In der Nase gelbfruchtig mit viel Grapefruit und einem Hauch von Banane. Leicht exotisch, aber nicht übertrieben. Dabei klar und frisch wirkend. Die leichte Süsse ist deutlich schmeckbar. Der Wein macht viel Spass und hat einen guten Zug.

Dr. Loosen Rotschiefer 2017 Mosel, Deutschland

15.5 Punkte | 2019 bis 2022

Wirkt viel reifer und üppiger als der Blauschiefer. Es dominieren Mandarine und grüner Apfel. Die Säure ist auf den Punkt und sehr fein und gibt dem Wein ein wunderbares Gerüst. Mineralisch im besten Sinne, mit einer sehr guten Länge.       

Dr. Loosen Graacher 2017 Mosel, Deutschland

16 Punkte | 2022 bis 2026

Die jungen Anlagen des Graacher Himmelreich landen in diesem Ortswein. Etwas weisser Pfeffer, rote Beeren und grüner Tee. Ein fester und kompakter Wein mit feiner Phenolik und einem guten Zug. Kann noch einige Jahre liegen.

Dr. Loosen Graacher Himmelreich 2017 Mosel, Deutschland

17 Punkte | 2022 bis 2028

Dieser feste, dichte Wein kommt aus einer 120 Jahre alten wurzelechten Anlage. Die Säure ist präsent, beinahe schon fundamental. Der Wein hat eine grossartige Länge und Dichte.

Dr. Loosen Wehlener Sonnenuhr 2017 Mosel, Deutschland

17.5 Punkte | 2022 bis 2028

Ein im ersten Moment nach nasser Kreide riechender sehr fester Wein. Mit der Zeit kommt etwas Minze und die nasse Kreide wird deutlicher. Auch dieser Wein besticht durch seine Eleganz und seine Finesse.

Dr. Loosen Erdener Treppchen 2017 Mosel, Deutschland

17.5 Punkte | 2022 bis 2028

Tief, dunkel und dicht in der Anmutung, mit feinen Aromen von Quitte und Apfel. Ausgestattet mit einer beinahe vibrierenden Säure und einem sehr charmanten Abgang.

Dr. Loosen Ürziger Würzgarten Reserve 2012 Mosel, Deutschland

18 Punkte | 2019 bis 2030

Der Wein ist der Inbegriff von Balance, Tiefe und Eleganz. Er hat keinerlei Oxidation und ist trotz aller Dichte unglaublich elegant und fein. Ein grosser Wein!

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