Die Weinkultur von Tianjin

21.02.2015 - arthur.wirtzfeld

CHINA (Tianjin) - Gibt es in Tianjin*, Heimat des traditionellen ‚Weißen Likörs’*, Raum für Wein? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, suchen wir den Rat eines örtlichen Weinexperten und sprechen mit Herrn Zhang Jie. Erst in 2005 kam Zhang mit Wein in Berührung. Wein Trinken war anfangs eher ein Hobby für Zhang – er trank Wein mit seinen Freunden und stellte dann aber fest: Wein ist ein gutes Getränk und er folgerte, auch ein gutes Geschäft. So entstand allmählich ein Importhandel für ausländische Weine, den Zhang in den letzten Jahren sehr erfolgreich betreibt. Seine Kunden schätzen seine Auswahl importierter Weine und seine Antwort ist: „Ja, es gibt Raum für Wein in Tianjin.“

 

Im Gespräch mit Zhang wird klar, dass die Dinge nicht so laufen, wie sich die Weinwelt außerhalb Chinas den Weinkonsum im Land der Mitte vorstellt, jedenfalls nicht überall. „Wie ein altes Sprichwort sagt: Wenn du in Rom bist, benimm dich wie ein Römer. Und das gilt vor allem hier bei uns in Tianjin“, sagt Zhang. „Als ich anfing mit Wein zu handeln, musste dieser erst in Tianjin eingebürgert werden und dieser Prozess dauert immer noch an. Und nicht außer Acht zu lassen ist die Tatsache, dass Wein in Tianjin auf die lokalen Bedürfnisse Rücksicht nehmen muss.“ 

Ja, und was genau sind die größten Unterschiede der Weinkultur in Tianjin gegenüber den Weinländern in Europa, Amerika und Australien? 

„Wein neigt dazu, die verschiedenen sozialen Gruppen zu verbinden. Das gilt überall und auch für Tianjin“, sagt Zhang. „Nur die Leute in Tianjin, die es gewohnt sind, den heimischen Schnaps zu trinken, neigen noch nicht zum Weinkonsum. Somit spaltet sich die Konsumgemeinde. Die einen öffnen sich dem Wein, die anderen kommen vom Schnaps nicht weg.“ Zhang trinkt selten Schnaps. Stattdessen genießt er Weine bei Treffen mit Geschäftspartnern, immer im Kreise seiner Freunde und privat sowieso.

Selten übernehmen hier arbeitende und lebende Ausländer die Gewohnheit der Einheimischen, Schnaps zu konsumieren. Nur einige fühlen sich verpflichtet Schnäpse eher aus Höflichkeit zu trinken, sofern sie bei offiziellen Anlässen Gäste sind, chinesische Freunde besuchen oder im Unternehmen bei Feiern noch traditionell der Schnaps die Runde macht. Doch Zhang ist der Meinung, dass sich ein Wandel vom Schnaps hin zum Wein in der chinesischen Gesellschaft vollzieht. „Dies führt dazu, dass sich der Konsum von Schnaps drastisch reduziert“, meint Zhang.

Ein weiterer Unterschied in der Weinkultur in Tianjin ist die Quantität. „In Tianjin ist die Einbürgerung von Wein in vollem Gang“, sagt Zhang. „Das bedeutet, je mehr Wein zu Verfügung steht, umso besser.“ Trinkgelage und letztlich übermäßiger Konsum sind nicht gerade selten in Tianjin. Dies steht im Kontrast zu den Trinkgewohnheiten in andern Weinnationen. „In anderen Ländern trinkt man Wein nicht vordergründig um einen Rausch zu bekommen“, sagt Zhang. „Bei euch in Europa achtet man zumeist darauf, nicht mehr Wein zu trinken, als es der Gesundheit zuträglich ist. Auch trinkt man dort in der Regel ein oder zwei Gläser zu den Mahlzeiten. In Tianjin ist dies völlig anders,“ meint Zhang.

Wir stellen also fest, Wein hat seinen Platz in Tianjin, aber nicht im Sinne der Trinkkultur, wie diese in den meisten Weinländern gepflegt wird. „Vergessen sie die Szene wie ein Konsument den ganzen Abend an einem einzigen Glas Wein nippt. Undenkbar hier bei uns“, sagt Zhang. „Hier leert man gleich einige Flaschen, wenn man mit Freunden in der Nacht unterwegs ist. Der Wein wird konsumiert wie anders wo Wasser.“ Während die Gesellschaft in Tianjin die Wahl hat zwischen Wein und Schnaps, ändert dies nichts in der Quantität des Konsums. Wein wird in Tianjin also in übermäßigem Maß konsumiert, stellen wir fest.

Bleibt noch eine letzte Frage. Welche Art von Wein ist beliebt in Tianjin? 

„Rotweine oder Weißweine, das ist egal. Beide lassen sich in Tianjin gut verkaufen“, sagt Zhang. Während Weißweine eher mehr im Süden Chinas konsumiert werden ist es der Rotwein in den nördlicheren Gebieten. Dies findet seinen Grund auch in der Kultur der Speisen und der Klimazonen. Laut Zhang sind Weine aus Frankreich und Chile die Favoriten bei den Einheimischen wie auch bei den Ausländern. So kostet ein Rotwein der französischen Domaine Val Colombe rund 180 RMB (circa 25 Euro), oder ein Grand Vin de Bordeaux rund 300 RMB (circa 42 Euro). Aus Chile verkauft Zhang trockene Rot- und Weißweine gleichermaßen gut. „Der Preis ist aber nicht alles“, sagt Zhang. „Ein höherer Preis bedeutet nicht automatisch höhere Qualität. Deshalb müssen sich die Konsumenten auf vertrauenswürdige Händler oder auf den Gaumen und Empfehlung von glaubwürdigen Verkostern verlassen.“ Das Fazit von Zhang klingt denn auch wie sein Credo: „Man sollte den Wein trinken, der schmeckt und nicht nur den, der einfach teuer ist.“ 

Trotz regionaler und traditioneller Gewohnheiten wächst die Weinkultur in China rasant. Nur in Tianjin laufen die Uhren langsamer, tut sich die Gesellschaft schwerer, den Wechsel von Schnaps zu Wein zu vollziehen als beispielsweise in Shanghai oder Hongkong. Aber von Jahr zu Jahr wächst die Menge der importierten Weine, die auch nach Tianjin kommen. „Hier bei uns in Tianjin haben wir erst ab 2005 langsam damit begonnen, Weine in die Gesellschaft einzuführen“, erklärt Zhang. „Getreu ihren Wurzeln ist die Gesellschaft in Tianjin immer ein wenig altmodischer, als es in den südlichen Metropolen der Fall ist.“ Zhang ist aber optimistisch hinsichtlich des anhaltenden Wachstums für den Weinmarkt in Tianjin. „Wir kommen langsam aber stetig voran“, sagt Zhang, öffnet einen Chilenen und schenkt uns ein. Wir verkneifen uns ein „Ganbei“ (chinesisch für: trockenes Glas, also „Auf Ex!“), schließlich sind wir aus dem Ausland und benehmen uns auch so.

 

*Tianjin ist eine der wichtigen Hafenstädte Chinas, gelegen am Gelben Meer und das wirtschaftliche Tor zur nur 120 Kilometer entfernten Hauptstadt Beijing. Tianjin ist auch eine der vier Regierungsunmittelbaren Städte Chinas und somit direkt der Zentralregierung in Beijing unterstellt. Das Verwaltungsgebiet der Stadt zählt knapp 14 Millionen Einwohner. Tianjin ist Industriezentrum, Verkehrsknoten und kultureller Mittelpunkt der Region mit Universitäten, Hochschulen, Museen und Baudenkmälern. Der Stadtkern ist sehr gepflegt. Brücken, Hochhäuser, Wohngebäude und sogar markante Kunstobjekte erinnern an europäische Metropolen. Wenn man in Tianjin unterwegs ist und sich nicht bewusst macht, dass man in China ist, fühlt man sich wie in einer europäischen Großstadt. Mit einer Fläche von knapp 12.000 Quadratkilometern ist das administrative Stadtgebiet ungefähr so groß wie die Gebiete Oberösterreich oder wie Schleswig-Holstein. Fährt man via Autobahn von Tianjin nach Beijing hat man den Eindruck, dass beide Metropolen in nicht zu ferner Zeit ineinander wachsen.

*‚Weißer Likör’, ein weißer Brandwein, fälschlicherweise in China auch als ‚Weißwein’ bezeichnet wird traditionell mit Trauben aus den Weinbergen bei Tianjin hergestellt. Ein international bekannter und edler Vertreter des ‚Weißen Likörs“ ist der Weinbrand namens Uni Blanc vom Hersteller Dynasty mit Sitz in Tianjin. Nach der Gärung und doppelter Destillation reifen deren Brände für einige Jahre in Eichenfässern, um die Qualität zu verbessern. Ansonsten sind  traditionelle Schnäpse in China der Gruppe Báijiu zuzuordnen, die auf Getreidebasis hergestellt werden. Darunter fallen verschiedene Spirituosen, die mit einem Alkoholgehalt von üblicherweise 50 bis 65 Volumenprozent aufwarten. Der Maotai ist hier der in ganz China konsumierte und auch international bekannte Vertreter dieser hochprozentigen Spirituosen mit eher kräftigem Geschmack. Weitere Vertreter dieser Art sind der Jian Nan Chun und der Lang Jiu (beide aus der Region Sichuan). Zu den eher klaren und leichteren Spirituosen gehören der Wuliangye und Luzhou Laojiao Tequ (ebenfalls aus der Region Sichuan), der Erguotou (verbreitet in Beijing) sowie der Fenjiu und Xifengjiu (beide aus der Region Shaanxi).

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