Gabriels Weinbibel - ein barockes Werk

29.10.2015 - P.W.SCHNEIDER

DEUTSCHLAND (Würzburg) - Ein schon von den technischen Daten her höchst beeindruckender "Schinken": über 1000 Seiten, fast drei Kilo Gewicht und von wahrhaft biblischem Format, das ist die "Weinbibel" des bekannten Schweizer Weinkenners René Gabriel. Hier geht´s fast ausschließlich um Verkostungseindrücke hochwertiger, gereifter Weine mit Schwerpunkt auf den berühmten Weinen aus dem Bordelais. 

 

Um solch ein voluminöses Werk, prall gefüllt mit Verkostungsnotizen erstrangiger, sozusagen 'erwachsener' Weine, mit diesem Titel und Anspruch zu veröffentlichen, muß man entweder leicht größenwahnsinnig sein oder über ein wetterfestes Selbstbewußtsein verfügen. René Gabriel vereint wohl beide Eigenschaften in sich. Doch in diesem Fall ist das kein Nachteil, gilt doch der Schweizer, der einst bei Mövenpick seine Weinlaufbahn startete, als einer der profiliertesten Weinkenner in Europa. Er publiziert seit Jahren seine Notizen in diversen Medien, ist als Fachberater für den Weineinkauf tätig und hat sogar ein eigenes, recht brauchbares Weinglas entwickelt. 

Schreiben kann er auch, humorvoll, direkt und immer mit einer klaren Aussage, die oft so herrlich subjektiv sein kann. Etliche nützliche Informationen zu Weingenuß, Lagerung, Speisen und vielem mehr bekommt der Leser ebenfalls geboten. Gewürzt werden diese Aufzeichnungen durch zumeist witzige Anekdoten aus der exklusiven Welt der Weintastings.

Also sehe ich dieses Werk, das von der Konzeption her dem vor 20 Jahren erschienenen Wälzer "Broadbents Weinnotizen" des englischen Autors Michael Broadbent ähnelt, als saftige, anachronistische Replik zum Weinjournalismus á la Web 2.0, der mit seiner Unbekümmertheit, Kürze und Aktualität selbstverständlich längst seine Berechtigung hat und die digitale Weinwelt via Blogs etc. dominiert.

Eigentlich bräuchten ja nur sehr wenige Weinliebhaber dieses barocke Werk, denn die hier besprochenen, oft jahrzehntelang gereiften Weine wird wohl kaum einer der Leser besitzen. Doch für ältere Semester wie mich ist solch ein Buch ein haptischer und hedonistischer Genuß, der beim Lesen, einige Kennerschaft vorausgesetzt, die Stunden mit Vergnügen verfliegen läßt. Idealerweise begleitet von einem guten, gereiften Wein.