Krebs aus Weinbergen - Einzelfall oder beunruhigender Trend? (Teil-1)

14.10.2015 - arthur.wirtzfeld

FRANKREICH (Bordeaux) - Eine Untersuchung der französischen Gesundheitsbehörde Agence Régionale Santé (ARS) und der französischen Gesundheitsüberwachung Institute de Veille Santé (InVS) ergab, dass in Preignag, einer Stadt in der Appellation Sauternes, Kinder unter 15 Jahren fünf mal häufiger an bestimmten Krebsarten als der Durchschnitt erkranken. Die Behörden geben als Grund eine zu hohe Pestizidbelastung an. Ist dies ein Einzelfall oder ein beunruhigender Trend? Dieser und zwei folgende Beiträge (Teil-2: "Entwickelt sich ein Sturm?" und Teil-3: "Erste Reaktionen in Bordeaux") beleuchten das Thema und zeigen Reaktionen auf.

 

Die Feststellungen der französischen Gesundheitsbehörden bergen einen "Sprengstoff". Die Frage stellt sich unwillkürlich: Setzen die Winzer zu viel Pestizide ein, machen Pestizide krank? Der Bericht der Behörden wurde verhalten veröffentlicht. Die Weinindustrie verweist darauf, dass die Ergebnisse noch nicht vollends bekannt wären, und verweist weiterhin darauf, dass der Einsatz von Pestiziden nicht der Grund für die Krebserkrankung der  Kinder sein kann. Währenddessen macht sich unter der Bevölkerung die Sorge breit, dass die Verantwortlichen der Weinindustrie und auch die Politik, das Problem ignorieren.

Preignag ist ein Dorf mit 2.151 Einwohnern, darunter 368 Kinder. Im Laufe der letzten 14 Jahre gab es vier Fälle bei Kindern mit Krebs im Vergleich zu 0,8 Fällen im nationalen Durchschnitt. "Sie alle besuchten die öffentliche Schule, sie alle leben in Preignag und wurden auch hier geboren", sagt der Bericht der ARS und InVS. Auch in den nahe gelegenen Gemeinden wie Barsac, Loupiac, Fargues und Sainte-Croix-du-Mont gab es neun Fälle zwischen 2000 und 2012. Dies ergibt zwar eine niedrigere Rate, aber diese ist dennoch doppelt so hoch wie im nationalen Durchschnitt.

Die Studie der Gesundheitsbehörden richtete sich konkret nur auf Krebserkrankungen mit nachweisbaren Verbindungen zu Pestiziden. Die Autoren der Studie zitieren die allgemeine Forschung, die eine starke Assoziation zwischen der Exposition gegenüber Pestiziden und Leukämie, Hirntumor und angeborene Missbildungen bei Kindern festgestellt hat. Erwachsene, die bei der Arbeit mit Pestiziden in Berührung kommen, gehen ein höheres Risiko in der Entwicklung von Parkinson, Prostatakrebs, Erkrankungen des lympathischen Systems und verschiedenen Formen des Myeloms, einer Krebserkrankung der Blutplasmazellen.

Die Autoren der Studie räumen allerdings ein, dass die bisherigen Untersuchungen das Thema nur begrenzt abbilden. Berücksichtigt wurden keine Daten über die Anzahl der lokalen Erzeuger, die in ihren Weinbergen Pestizide verwenden. Auch wurden keine Belastungen durch Pestizide in der Luft analysiert - noch wurden die erkrankten Kinder eingehend untersucht. "Die Frage ist: Welchen Belastungen mit Pestiziden wurden die Kinder ausgesetzt?", sagt Jean-Francois Narbonne, Professor an der Universität Bordeaux und ein Experte für Toxikologie. "Wir haben alle wissenschaftlichen Werkzeuge, um die Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln zu messen. Es ist sehr einfach, dies mit Urinproben zu analysieren. Die Eltern müssen uns nur erlauben, die Kinder entsprechend zu untersuchen."

Ein Manko der Studie ist schon ausgemacht. Die Autoren benennen keine Pestizide, obwohl lokale Medien diese beim Namen nennen. Außerdem belegen Daten der Regierung aus dem Jahr 2003, dass 70 Prozent der Weinberge in Frankreich mit Clyphosat, einem Herbizid behandelt werden. Die Fungizide Folpel und Schwefel wurden demnach in mehr als der Hälfte der französischen Weinflächen verwendet. Schon im Frühjahr 2014 stellte das nationale französische Zentrum für Krebsforschung fest, dass Clyphosat ein wahrscheinliches Karzinogen, also eine Substanz, ein Organismus oder eine Strahlung, die Krebs erzeugen oder die Krebserzeugung fördern kann, sei. In den USA haben derweil Gesundheitsbehörden Folpel, ein in Wasser unlösliches Fungizid zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten im Weinbau, ebenfalls als wahrscheinliches Karzinogen bezeichnet. 

Von der ARS und der InVS wurden im Jahr 2013 eine Studie hinsichtlich der Verwendung von Folpel entlang der Weinzonen der Gironde und in weiteren Teilen von Bordeaux in Auftrag gegeben. "Diese Studien zeigen, dass entlang der Weingemeinden der Gironde Pflanzenschutzmittel in der Luft, insbesondere Fungizide in der Zeit des Spritzens festgestellt wurden - dies jeweils rund um die Bereiche des Einsatzortes", sagen die Autoren. "Und die Schule in Preignag grenzt an ein Rebfeld, wo während der Schulzeit gesprüht wurde. Die Kinder waren somit versprühten Pestiziden ausgesetzt, auch wenn wir dies bisher nicht quantifiziert haben."

Befragte Winzer mit Rebflächen rund um Preignag bestreiten, während der Schulzeit gesprüht zu haben. "Es wäre ausschließlich früh am Morgen zwischen 6.00 und 7.00 Uhr gesprüht worden. Obwohl sich die aktuelle Studie nur mit einer kleinen Gemeinde befasst und damit auch nicht unbedingt ein überregionales Ergebnis abbildet, kommen die Autoren in ihrem Bericht zu dem Schluss: "Bei Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kann ein Krebsrisiko nicht ausgeschlossen werden. Wir empfehlen eine Reduzierung der Belastung durch Pestizide und empfehlen eine Einrichtung zur Gesundheitsüberwachung." Was die Bevölkerung in und um Preignag verärgert, ist, dass die Studie hinsichtlich des Zusammenhangs von Pestiziden und Krebs nicht groß angelegt weiter geführt werden soll. Stattdessen sagen die Autoren: "Eine fortlaufende Untersuchung ist nicht gerechtfertigt."