Der Genom-Messer

Weingenuss ohne Kater-Symtome?

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 03. April 2015


"Wissenschaftler entwickeln Wein, von dem man keinen Kater bekommt!" Diese Schlagzeile machte die Runde in verschiedenen Nachrichtenportalen in den USA. Die Meldungen stützen sich auf neue Forschungsergebnisse der University of Illinois, wo Wissenschaftler unter Federführung von Prof. Dr. Yong-Su Jin, einem Fachmann für das Genom von Mikroben, ein Verfahren entdeckt hat, mit dem man Hefestämme für die Weinbereitung mit Hilfe der Gentechnik geschickt verändern kann. Somit ist es nun möglich, polyploide Stämme von Saccharomyces cerevisiae, demjenigen Hefestamm, der hauptsächlich für die Gärungsprozesse in Wein, Bier und Brot zuständig ist, zu manipulieren.

Der Genom-Messer

Polyploide Zellen enthalten multiple Sätze von Chromosomenpaaren. Hefestämme aus solchen Zellen waren bisher immer schwierig genetisch herzustellen. Manipulierte man ein Gen, versetzte ein Gen in einem anderen Exemplar des Genoms das manipulierte Gen wieder in den Urzustand. Das Verfahren von Dr. Jin, das er als "Genom-Messer" bezeichnet, ist in der Lage, bestimmte Gene in polyploiden Hefestämmen dauerhaft zu verändern. "Die Entwicklung eines katerfreien Weins wird allerdings bei Weitem überbewertet", meinte Dr. Jin. "Bisher gibt es keinen solchen Wein und von der ziemlich unwahrscheinlichen Möglichkeit, einen solchen Wein zu entwickeln, sind wir noch Lichtjahre von entfernt. Mir sind diese Medienberichte furchtbar peinlich", sagt Dr. Jin. Was aber nicht heißen soll, dass seine Forschung ein großes Potential für die Weinbereitung birgt, wenn die Winzer einmal diese Möglichkeit hätten und sich der Aufwand lohnen würde.

Dr. Jin ist Realist und betrachtet die Vermeidung von Kater-Symtomen als nur eine von vielen potentiellen Anwendungen seiner Forschung. Es sei denkbar, behauptet Dr. Jin, dass das Genom-Messer eine Hefe produziert, die eine malolaktische Gärung (sekundäre Gärung, die Apfelsäure in cremige Milchsäure verwandelt) in Gang setzen könnte und dabei auch noch weniger biogene Amine produziert. Amine, also Inhaltsstoffe wie beispielsweise Histamine und Tyramine, werden auch für Kopfschmerzen nach dem Wein-Genuss verantwortlich gemacht. Diese Katersymptome könnte sein Genom-Messer lindern oder sogar vermeiden helfen.

Der Disput

"Hefen sind nicht verantwortlich für die malolaktische Gärung, sondern Bakterien", bemerkt Brian Loring von der Loring Wine Company aus Lompoc in Kalifornien, der seine Weine mittels konventionellen Hefen und Bakterien inokuliert (animpft). Dagegen kontert Dr. Jin, dass ein maßgeschneiderter Hefestrang entwickelt werden könnte, der die Bakterien bei der malolaktischen Gärung ersetzen könnte. "Die Milchsäurebakterien, die bei der Weinbereitung verwendet werden, sind allerdings ganz schön schwer zu steuern", erklärt Dr. Jin, "und wenn es schief geht, kann es zu einer Überschuss-Produktion von biogenen Aminen kommen."

Eine Reihe von Wissenschaftlern glauben allerdings nicht, dass man mit der Reduzierung von biogenen Aminen im Wein die Unpässlichkeit am Morgen danach vermeiden könnte. Dr. Robert Pandina, Direktor des Zentrums für Studien über Alkohol an der Rutgers University in New York, bestreitet, dass biogene Amine dafür verantwortlich seien. "Überreaktionen nach Histamin-Zufuhr kommt bei den in alkoholischen Getränken vorhandenen Dosen ziemlich selten vor", meint Dr. Pandina. "Die Entstehung eines Katers ist immer noch etwas rätselhaft und zumeist begründet sich eine Unpässlichkeit durch übermäßigen Genuss von jedweder Art von Alkohol."

Wer ist nun verantwortlich?

Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass eine verpfuschte malolaktische Gärung und biogene Amine nicht zwingend für alle Kater-Symtome verantwortlich sein können. Denn nicht jeder Wein (und auch nicht alle alkoholischen Getränke) durchlaufen eine malolaktische Gärung. Dr. Jin vertritt die Meinung, dass der Alkohol selbst der Hauptfaktor ist, und er betont, dass er einen Kater nach Weingenuss nur teilweise den biogenen Aminen zuschreibt. "Die potentielle Entwicklung von Wein mit weniger biogenen Aminen bedeutet nicht, dass es uns nach übermäßigem Weingenuss nie wieder schlecht gehen würde", sagt Dr. Jin. "Das wäre toll, aber ich halte das für unmöglich."

Mal abgesehen von der Verhinderung eines Katers glaubt Dr. Jin, dass sein Genom-Messer großes Potential hat: "Jetzt haben wir ein brauchbares und sicheres genetisches Werkzeug an der Hand, um Hefe mit einem Stoffwechsel herzustellen, um bessere vergorene Produkte wie beispielsweise Wein, Bier und Brot herstellen zu können." Dr. Jin stellt außerdem die Hypothese auf, dass das Genom-Messer außer dem Steuern der sekundären Gärung, den Winzern zudem noch ermöglicht, den Gärungsprozess effizienter zu gestalten, den Duft eines Weins zu verändern und den Gehalt an potentiell gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe im Wein, wie beispielsweise Resveratrol, zu erhöhen.

Die Hefen

Die Aspekte eines Weins mittels dem neuen Genom-Messer zu steuern unterscheidet sich kaum von bereits verfügbaren Verfahren. Winzer, die ihre Weine mit konventioneller Hefe inokulieren, haben eine lange Liste von Stämmen zur Verfügung, aus denen sie wählen können und von denen ein jeder dem Wein unterschiedliche Charakteristika verleiht. "Einige Hefen sind auf eine Gärung bei niedrigeren Temperaturen abgestimmt; andere werden verwendet, um dem Wein mehr fruchtige Komponenten zu verleihen", erklärte Corey Beck, Präsident der Francis Ford Coppola Winery aus Kalifornien und dort verantwortlich für die Weinbereitung. "Man sucht nach Weißwein-Hefen unter dem Aspekt, ob sie aromatische Ester produzieren können; für große Rotweine sucht man vielleicht nach Hefen, die etwas mehr Alkohol abkönnen. Fündig wird man allemal", sagt Beck.

Die Verminderung von biogenen Aminen ist auch kein neues Ziel in der produzierenden Weinbranche. "Die meisten kommerziell gehandelten (malolaktischen) Bakterien werden angeblich zum Teil ausgesucht, um den Gehalt an biogenen Aminen und dergleichen zu vermindern", sagte Brian Loring. "Das Genom-Messer könnte einfach die derzeitigen Verfahren zur Weinbereitung gründlicher, präziser und effizienter machen", hofft Dr. Jin. Für ihn und seine Mitarbeiter bleibt noch eine Menge Laborarbeit. Und es ist unklar ob Weine, die unter Zuhilfenahme von genetisch modifizierten Hefen produziert werden, als solche auch deklariert werden müssen, weil diese genetisch modifizierte Organismen (GMO) enthalten. "Ich habe persönlich nichts gegen GMOs, aber mir ist klar, dass es schwierig wäre, so gekennzeichnete Produkte zu vermarkten", sagt. Dr. Jin.

Meinungen

Und was halten Weinmacher von der Aussicht, GMO Hefen zu verwenden?

"Wir würden uns nicht darum reißen, sie zu verwenden", wird Corey Beck von der Francis Ford Coppola Winery zitiert. "Ich halte es mit: sag niemals nie. Wir probieren gern etwas aus und Experimente gehören dazu, sie können positive Veränderungen in der Weinindustrie anstoßen."

Bob Berthau, verantwortlich für die Weinbereitung bei Château Ste. Michelle (US-Staat Washington), meint im Rahmen der Diskussion: "Ich würde meine Methoden der Weinbereitung nicht verändern nur um biogenen Amine zu verringern. Ich halte genetisch modifizierte Hefe nicht für notwendig, jedenfalls so lange nicht, bis sich die Auswahl der heute zu Verfügung stehenden Hefen nicht merklich verringert und daran glaube ich nicht."

"Würden wir einen GMO verwenden, der keine biogenen Amine produziert? Vielleicht", sagte Brian Loring von der Wine Company. "Aber ich will erst sehen, dass es wirklich etwas nützt. Weil ich ziemlich sicher bin, dass der Alkohol, einhergehend mit der Dehydrierung, begründet durch einen übermäßigen Genuss, eben eine entscheidende Rolle bei einem Kater spielt.

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