Deutz

Erde unter der Sohle

Hommage à William Deutz heisst eine neue Linie mit zwei reinsortigen Pinot-Noir-Cuvées aus erstklassigen Einzellagen an der Montagne de Reims. Initiiert wurde sie von Generaldirektor Fabrice Rosset.

Man erfindet sich immer wieder neu, weil man sich selber treu bleiben will. Man hält sich in Bewegung, damit alles beim Alten bleibt. Deutz ist eine historische Marke. Historie verpflichtet und will respektiert sein. Doch eben: Die Welt verändert sich, alles ist im Fluss. Unser Klima wechselt, die Reben halten Schritt mit dieser Entwicklung, die Weine verändern sich, die Champagnerfreunde haben neue, höhere Ansprüche. Wir versuchen ganz einfach, pragmatisch und mit der nötigen Vorsicht und Distanz das alles zu analysieren, damit wir mit Veränderungen Schritt halten können, ohne Verrat an unserer Geschichte zu begehen. «Wir sind wie Zwerge auf den Schultern der Riesen. Wenn wir weiter sehen als sie, hat das nichts mit unserer besseren Sicht zu tun oder unserer Grösse, sondern damit, dass sie uns in die Höhe gehievt haben», soll der Philosoph Bernard de Chartres schon vor 800 Jahren ausgerufen haben. Ich mag diesen Satz. Er beschreibt exakt die Art und Weise von Deutz, mit der Vergangenheit umzugehen. 

«Deutz ist eine internationale Marke, ein Handelshaus. Doch Deutz ist auch Weinbergsbesitzer und damit Winzer. An unseren Schuhsohlen klebt Erde. Das gilt auch für Firmengründer William Deutz, dem wir zwei Lagen-Cuvées widmen: Hommage à William Deutz Meurtet und Côte Glacière.»

Fabrice Rosset

Die Gründungsgeschichte von Deutz liest sich etwa folgendermassen: «1830 liessen sich William Deutz und Pierre-Hubert Geldermann, beide 1808 in Aachen geboren, in der Champagne nieder, um vom wirtschaftlichen Aufschwung Frankreichs unter dem eben an die Macht gekommenen Bürgerkönig Louis Philippe zu profitieren. William arbeitete für ein Handelshaus, Pierre-Hubert versuchte sein Glück als Weinhändler. 1838 riefen sie ihr eigenes Handelshaus ins Leben.» Doch mit trockenen Geschichtsdaten wird man den Gründervätern nur beschränkt gerecht. Was für ein Wagnis, seine Heimat zu verlassen, was für ein Abenteuer, in der Fremde ein Auskommen zu suchen! Welcher Geniestreich, sich später hier in Aÿ am Fuss der Montagne de Reims und damit der besten Pinot Noir 
Lagen niederzulassen, diesen herrlichen Geschäftssitz aufzubauen, von dem wir bis heute profitieren! Welche Weitsicht, auf die Produktion von Spitzenweinen zu setzen, Weinberge zu erwerben, in lokale Familien einzuheiraten! Welch schwierige Zeiten sie überstanden haben! Wir besitzen eine Flasche mit Jahrgang 1911, auf der zu lesen steht: French Brand. The proprietors are french officers on active service (Französische Marke. Die Besitzer sind französische Offiziere in aktivem Dienst). Das illustriert mit aller Deutlichkeit, dass Deutz und Geldermann nicht einfach nur vom Schicksal verwöhnte Kinder waren, sondern sich mitunter auch ganz schön behaupten mussten.

Genau darum, um unsere Geschichte, die Geschichte der Familie und der Marke Deutz zu würdigen, aber auch den innovativen Geist der Gründer, haben wir eine neue Linie geschaffen: Hommage à William Deutz. Gewiss, wir schreiben das Jahr 2018, genau 180 Jahre sind seit der Gründung vergangen. Doch das war nicht der Auslöser. Auslöser waren die Weine von zwei Pinot-Noir-Parzellen an den Hängen oberhalb der Kellerei, die seit ewigen Zeiten im Besitz von Deutz stehen. Die eine ist als «Côte Glacière» im Grundbuch eingetragen. Warum, weiss niemand, denn sie ist alles andere als frostig, ganz im Gegenteil, sie liegt in besonders sonniger, südlicher Ausrichtung. Die andere, Meurtet, liegt etwa 200 Meter von der ersten entfernt. Ein Teil dieser Parzelle ist mit 40 Jahre alten Reben bestockt, der andere wurde im Jahr 2000 neu bepflanzt. 
Seit 22 Jahren habe ich das Privileg und das Vergnügen, regelmässig die Weine dieser Parzelle zu verkosten, wie Kellerchef Michel Davesne und ich das mit allen unseren Grundweinen tun, ob aus eigenem Anbau oder aus zugekauften Trauben. Ein Blick in mein Degustationsheftchen genügte; um festzustellen, dass die Weine dieser Parzellen immer besonders exzellent ausfielen. Bis anhin wurden sie Jahr für Jahr in unserer Spitzen-Cuvée William verarbeitet, die Deutz seit 1961 produziert. William ist die Quintessenz unserer Marke, ein komplexer Wein aus mehreren Lagen und Sorten. Doch irgendwie schien mir, die beiden Pinots, stilmässig sehr ähnlich und doch verschieden, genügten sich selber. Wenn ich einen Vergleich bemühen müsste, würde ich sagen: der elegante, mineralische Meurtet ist unser Puligny Montrachet, die sonnige Côte Glacière unser Meursault. Oder: Meurtet gleicht einem Prelude von Debussy, Glacière der Polonaise Heroique von Chopin. 
Mit dem Jahrgang 2010 wollten wir die beiden Lagen erstmals getrennt verarbeiten. Doch ein Irrtum machte, dass die Trauben der beiden Parzellen gemeinsam gepresst wurden. (Doch sind Irrtümer nicht das Salz der grössten Erfindungen?) Das erste Opus von Hommage ist daher ein Verschnitt der beiden Parzellen, deren Weine sich hier perfekt ergänzen und für eine ideale Balance von Glanz und Fülle sorgen. Den Namen wählten wir einerseits, um die Cuvée eindeutig in der Nähe von William anzusiedeln, andererseits als klare und respektvolle Hommage an den Gründer William Deutz, als Bogenschlag von Fortschritt zu Geschichte. 2011 waren die Bedingungen für einen neuen Versuch nicht gegeben. Die Pinots litten zu sehr unter dem Regen während der Ernte, um unserem Anspruch gerecht zu werden. Darum starteten wir erst 2012 neu.
 

Detailpflege für grösste Terroirtreue
Der Jahrgang 2012 gehört offiziell nicht zu den absoluten Spitzenjahren. Doch nach und nach wird auch der letzte Zweifler anerkennen müssen, dass die Weine dieses Jahres besonders präzise ausgefallen sind, besonders unverfälscht die Typizität einer Lage wiedergeben, mehr noch als 2010, ideal, die Idee der getrennten Kelterung und Abfüllung zum Abschluss zu bringen. Michel Davesne pflegte minutiös jedes Detail der Weinbereitung, und heute, nach gebührender Flaschenreife, können wir zwei neue Kinder präsentieren, auf die wir nicht wenig stolz sind: zwei Weine von besonders verführerischer Art, komplex und doch zugänglich, umwerfend fruchtig und doch alles andere als banal. Natürlich hat uns das gezwungen, die Menge an William Deutz etwas zu reduzieren. Doch nicht alle Grundweine der beiden Parzellen werden für Hommage verwendet. Ein Teil kommt weiterhin William zugute, der folglich nicht im Geringsten unter diesem Schritt zu leiden hat. Wir wollten Hommage als Bindeglied zwischen unserem Deutz Millésimé und der Cuvée William positionieren, die auch weiterhin unsere Spitze vertritt. Gewiss, die Diversifizierung der Cuvées entspricht dem Zeitgeist. Das gleiche gilt für die Idee der Lagen-Cuvée. Doch mit Mode hat das nur beschränkt zu tun, eher damit, mit der Zeit zu gehen, in seiner Epoche zu leben, wie das ja schliesslich auch die Gründer von Deutz getan haben. 
Was mir gefällt an der Idee der Lagenabfüllung, ist die Nähe zum Weinberg, zum Winzer. Wir arbeiten mit rund 150 verschiedenen Grundweinen. Das ist unsere Stärke. Unter den selbstkelternden Winzern gibt es viele, die ausgezeichnete Arbeit leisten, auch wenn sie «nur» in einer einzigen Gemeinde zuhause sind. Es gibt mehr und mehr Champagnerfreunde, die das Besondere suchen und akzeptieren und sogar verlangen, dass Champagner mehr ist als Schaum: ein echter, charaktervoller Wein, ein getreues Abbild seiner Herkunft. Lagen-Cuvées bereichern folglich unsere Palette. Noch einmal: Man muss sich ständig in Frage stellen, um mit seiner Zeit zu gehen. Ich tue das bei Deutz seit 22 Jahren. 
Wir bieten heute 14 verschiedene Cuvées an, die alle ihre Berechtigung haben. Ein Teil davon wurde entwickelt, seit ich Deutz als Generaldirektor vorstehe. Wir haben die Cuvée William etwas zugänglicher gemacht, ohne Verrat an seinem Stil zu begehen – der Erfolg gab uns recht. Wir haben mit Amour ein gleichsam feminines, luftiges, elegantes Pendant geschaffen – die ganze Welt will davon haben. Wir haben Jahre an der Kreation unserer Rosés gefeilt, weil wir uns nicht mit dem erstbesten Resultat zufrieden geben wollten. 
Deutz ist eine internationale Marke. Man nennt uns Handelshaus. Die Produktion von Champagner ist weintechnisch besonders anspruchsvoll. Was dabei oft vergessen wird, ist die eigentliche Basis: der Rebberg, das Terroir, das unter der Sohle knirscht. Ich bin mir gewiss: Meister William musste oft die Weinbergserde von seinen Schuhsohlen streifen, bevor er in seinen Salon treten konnte!