Der Handel hat verstanden

Gewichtheberei von gestern

Text: Harald Scholl

Je grösser, je dicker, je schwerer die Flasche – desto besser das «Darin»? Die Weinbaubetriebe müssen sich an die Realitäten der Moderne anpassen. Ob sie wollen oder nicht: Die kiloschweren Flaschenmonster, die immer noch zu finden sind, sollten ein längst überholtes Relikt der 1980er Jahre sein.

Während diese Zeilen zu Papier gebracht werden, kommt ein Wein aus dem Drei-Liter-Bag-in-Box-Karton ins Glas, um den Schreibfluss zu beschleunigen. Ein Wein, der auf die Normalflasche umgerechnet mindestens 25 Euro kosten würde, mit Glasverpackung wahrscheinlich 27 oder sogar 28 Euro. Was sagt uns das? Nun zunächst einmal, dass die Verpackung ein wesentlicher Faktor bei der Preisfindung jedes Weines ist. Je nach Qualität können Flasche, Etikett und Verschluss bis zu 50 Prozent des Gesamtpreises ausmachen. Den Karton und den Transport noch nicht mitgerechnet. Das relativiert sich natürlich bei teuren Weinen, da spielt die Verpackung beim Preis kaum eine Rolle. Wenn aber eine schwere und damit teurere Flasche gewählt wird, verschlechtert sich diese Relation wieder. Trotzdem kann sich kaum ein Weintrinker vorstellen, genau hundert Euro für drei Liter Wein auszugeben, wenn diese in einem Pappkarton mit Kunststoffinnereien verpackt sind. Weintrinker sind Traditionalisten, der jahrzehntelange, nicht beendete Kampf um den Verschluss mit Schraubdeckel ist ein Beweis dafür. Es geht dabei weniger um Argumente, mehr um Gefühle. So auch bei der Flaschenfrage. «Size matters» scheint für viele Weintrinker immer noch die Maxime zu sein, je grösser, dicker, schwerer die Flasche, desto besser das «Darin». Was völliger Unfug ist. Oder glaubt irgendwer, dass eine 0,75-Liter-Flasche Romanée Conti La Tâche mehrere Kilogramm wiegt? Im Gegenteil, die teuersten Weine der Welt stecken in aller Regel in profanen Flaschen von 700 Gramm Gewicht. Trotzdem: Viele Winzer tarnen ihre eher medioker zu nennenden Qualitäten in Flaschen, die bei Olympia beim Hammerwurf passender wären.

Das Thema «Gewicht der Flasche» und damit verbunden der CO2-Fussabdruck ihres Betriebes beschäftigt viele Winzer. In Italien hat Castello Banfi schon 2009 damit begonnen, das Gewicht der Weinflaschen zu reduzieren. Über 570 Gramm, dann 400 Gramm, ist seit 2014 auf die heutigen 360 Gramm reduziert worden. Geht also. Dass diese Reduktion – ohne Verschlechterung der Flaschenfestigkeit – dringend angeraten ist, zeigt eine Untersuchung der Landesanstalt für Wein und Gartenbau in Veitshöchheim. Die Wissenschaftler schauten sich Betriebe unterschiedlicher Grösse an und errechneten interessante Werte. Die durchschnittliche CO2-Belastung für eine volle 0,75-Liter-Flasche Wein liegt demnach bei etwa 900 Gramm CO2. Noch interessanter ist die Aufschlüsselung der einzelnen Positionen dieser Zahl. 25 Prozent der Emissionen entfallen auf die Arbeit im Weinberg, 28 Prozent auf die Arbeit im Keller und Weingut und 48 Prozent (!) auf die Verpackung und Abfüllung – also nahezu die Hälfte. Vor allem die Produktion der Einwegflasche verursacht mit 32 Prozent fast ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen und ist somit ein wahrer Klimakiller.

Der Handel hat verstanden

Dass Glasflaschen den grössten Anteil am CO2-Fussabdruck von Wein haben, weiss auch die Weinbranche. Ein Zusammenschluss von 49 weltweit führenden Weingütern, Firmen und Institutionen der Wein- und Lebensmittelbranche – genannt Sustainable Wine Round Table (SWRT) – hat beschlossen, dass er Weine nur noch in Leichtglasflaschen verkaufen will. Das ehrgeizige Ziel: 350 Gramm pro Flasche. Dass es bis dahin ein weiter Weg ist, geben die Damen und Herren gerne zu. Noch immer verbinden viele Kundinnen und Kunden die schwere Flasche mit einer besonderen Wertigkeit des Weines. Die beteiligten Unternehmen kommen aus dem Ausland, Systembolaget (Schweden), Lidl (Grossbritannien) oder Ahold Delhaize (Niederlande) sind dabei; aus Deutschland Dr. Loosen, Kloster Eberbach, Uni Geisenheim und der VDP.

Natürlich sind leichte Flaschen keine allein selig machende Lösung. Stellen Sie sich nur vor, wie es aussehen würde, wenn ein Weinkarton als kunstvoll verpacktes Paket als Mitbringsel zur nächsten Abendgesellschaft mitgebracht wird. Oder ein grosser Wein zur jahrzehntelangen Reifung in den Keller gelegt werden soll. Da muss es eine Glasflasche sein. Aber wie viel Prozent aller Weine werden für diesen Zweck produziert? Ihr Anteil dürfte weit unter fünf Prozent liegen. Für die anderen 95 Prozent sollten Weinproduzenten und Weinkunden sich an umweltfreundlichere Verpackungen gewöhnen. Und sei es nur, dass es leichtere Flaschen sind.

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