Die Verbände stehen vor ungelösten Hausaufgaben

Von raufenden Haufen

Text: Harald Scholl

«Ich will mit keinem Haufen raufen, lass’ mich mit keinem Verein ein …», textete einst Reinhard Mey. Und es scheint so, dass sich immer mehr Weingüter das zu Herzen nehmen. Von einer Austrittswelle zu sprechen wäre sicher verfrüht, aber so manches Gebilde scheint doch zu erodieren. Und das zum falschen Zeitpunkt.

Welcher Weinfreund kennt sie nicht, die Qualitätsstufen der Winzer aus der Wachau, die fast lyrischen Begriffe Steinfeder, Federspiel und Smaragd? Auch wenn nicht jedermann zu jeder Zeit ganz genau wusste, was sich konkret dahinter verbarg, war doch klar, dass es sich immer um einen hochklassigen Wein aus der Wachau handeln musste, der so gekennzeichnet war. Über 200 Mitgliedsbetriebe gehören bis heute dem 1983 als Vereinigung von Wachauer Winzern gegründeten Verein Vinea Wachau an, nur sie dürfen die Einteilung ihrer Weine in die genannten Kategorien auf das Etikett schreiben. Ein kleiner, manchmal elitär anmutender Zusammenschluss, dem deutschen VDP – Verband Deutscher Prädikatsweingüter – nicht unähnlich. Die Mitgliedschaft in beiden Vereinigungen sichert hohes Renommée und damit verbunden auch Akzeptanz bei den Kunden.

Umso überraschender ist es, wenn sich ein Mitglied aus freien Stücken dazu entschliesst, diesem Verband nicht mehr angehören zu wollen. Das Echo auf den Vinea-Wachau-Austritt von F.X. Pichler im Jahr 2020 war schon enorm, jetzt hat sich der nächste bekannte Betrieb verabschiedet. Ab dem Jahrgang 2023 wird auch Franz-Josef Gritsch seine Weine nicht mehr gemäss den Vinea Kategorien wie Federspiel und Smaragd kennzeichnen, sondern nur noch auf die DAC-Herkunftspyramide setzen. Seine Begründung ist so klar wie einfach: Er sieht das DACSystem als zukunftsträchtiger an. Sowohl im Hinblick auf die veränderten klimatischen Bedingungen wie auch im internationalen Kontext. Die Einstufung der Weine nach dem in den Trauben enthaltenen Zuckergehalt – und daraus resultierend der Alkoholgradation – hält er wie sein Kollege F.X. Pichler für schlichtweg unzeitgemäss. Die Reife von Trauben ist in Zeiten des Klimawandels kein Thema mehr, der Alkohol sagt ohnehin nichts über die Qualität eines Weines aus. Das ist in Winzerkreisen im Prinzip auch unstrittig, nur scheint man sich von liebgewonnenen Traditionen nur schwer verabschieden zu können. Der Umstieg auf die DAC-Klassifizierung und damit verbunden der Stärkung des Herkunftsgedankens, des Terroirs, ist in Österreich beschlossene Sache und mittlerweile in allen Anbaugebieten umgesetzt. Zwei konkurrierende Systeme wie aktuell in der Wachau mit Vinea Wachau und DAC sind da verwirrend. So sehen es die Winzer Pichler und Gritsch, sich einig wissend mit den allermeisten Weinkunden. Dass dem so ist, scheint auch der Verein selbst erkannt zu haben. Auf der Homepage steht für jeden Interessierten deutlich zu lesen, dass das DAC-System «mehr Transparenz, mehr Klarheit und das absolute Bekenntnis zur Herkunft …» bietet. Zudem sind viele der DAC-Kriterien auch Bestandteil der Vinea-Klassifizierung. Aber warum schaltet der Verein nicht schneller?

Die Verbände stehen vor ungelösten Hausaufgaben

Das scheint ein weitverbreitetes Problem zu sein. Die Entwicklungen sind um ein Vielfaches dynamischer, als es eine Vereinigung sein kann. Das gilt für die Vinea Wachau genauso wie für den VDP oder das DWI, das Deutsche Weininstitut. Wo immer Institutionen versuchen, dem Markt, dem Trend oder den klimatischen oder politischen Rahmenbedingungen zu folgen, wirken sie wie auf verlorenem Posten. Ob es an den internen Strukturen liegt, an fehlenden Geldmitteln oder einfach am richtigen Personal? Das lässt sich schwer sagen und dürfte von Fall zu Fall unterschiedlich sein, die Analyse ist kompliziert. Aber sie ist wichtig, um nicht zu sagen notwendig. Denn weder Klima noch Märkte noch die Politik warten auf den Wein und seine Protagonisten. Im Gegenteil, sie machen immer mehr Druck, die erweiterte Kennzeichnungspflicht auf Weinetiketten ist ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Werbebeschränkungen, etwa ein Verbot von Werbung für oder die Darstellung von Alkohol in den sozialen Medien. Exportbeschränkungen, neue Marktteilnehmer und immer wieder das Klima… wetten, dass da noch so Einiges auf die Winzerinnen und Winzer zukommt? Umso wichtiger wird es daher sein, geschlossen und möglichst unisono aufzutreten. Die Hausaufgaben in den Verbänden und Vereinigungen müssen dringend angegangen und die internen Diskussionen schneller und härter geführt werden. Um dann die eigenen Reihen schnellstens schliessen zu können. Oder um dem eingangs zitierten Reinhard Mey deutlich zu widersprechen: Es lässt sich nur im Haufen raufen!

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