VINUM-Profipanel: Das erste Mal in der Geschichte von VINUM sprengen vier chinesische Weine die Top Ten

Chinesische Crus mischen westliche Weinnationen auf

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Linda Pollari

Können ausgewählte chinesische Cabernet-Blends heute gegen prestigeträchtige Ikonenweine aus Bordeaux, Bolgheri oder Kalifornien bestehen? Ja, sie können! Das ist das zentrale Fazit unseres VINUM-Profipanels. Zwar gingen die Plätze 1 und 2 an Crus aus dem Napa Valley und aus Bordeaux, doch China ist mit vier Weinen in den Top Ten vertreten. Was vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar war, ist Realität geworden. Bei den Cabernet-Blends mischt das Reich der Mitte mit seinen aktuellen Jahrgängen in der Weltspitze mit. Günstig sind die Edelweine made in China freilich nicht!

Der Cabernet Sauvignon bringt heute auf allen Kontinenten erstklassige Weine hervor. So lapidar diese Aussage anmutet, umso treffender ist sie für das aufstrebende China. Denn die zehn chinesischen Gewächse agierten in diesem VINUM-Profipanel qualitativ auf Augenhöhe mit den prestigeträchtigen Referenzweinen aus Bordeaux, dem Napa Valley, Bolgheri und dem Penedès. Zudem war die qualitative Performance der chinesischen Weine sehr kompakt, es gab keinen einzigen Ausreisser nach unten, alle Weine bekamen Durchschnittsbewertungen zwischen 17 und 18 Punkten. Eine solche homogene Leistung auf hohem Niveau ist auch bei Verkostungen von Crus aus prestigeträchtigen europäischen Weinregionen nicht selbstverständlich. Der verblüffende Auftritt der chinesischen Bordeaux-Blends lag sicher auch an der minuziösen Vorauswahl der Weine, die der österreichische Weinmacher und Consultant Lenz Moser für VINUM vornahm.

Lenz Moser produziert seit 2015 zusammen mit dem chinesischen Weingut Château Changyu eine Reihe von Topweinen für den Export und hat sich zu einem profunden Kenner der chinesischen Weinszene entwickelt. Er selektionierte die Weine und liess sie direkt von China in die Schweiz senden. Denn der Grossteil der chinesischen Edelcrus, die in ihrer Heimat für stolze Preise von bis zu 450 Euro verkauft werden, sind in Europa noch nicht erhältlich. «Es war der erstmögliche Termine, um eine Vergleichsprobe auf diesem Niveau überhaupt durchführen zu können. Denn mit Ausnahme des Jia Bei Lan Reserve von Helan Qingxue Vineyard und dem Family Heritage Cabernet Sauvignon von Legacy Peak sind alle Weine erst in den letzten fünf Jahren entstanden», sagt Lenz Moser.

Die vielleicht verblüffendste Erkenntnis dieser Verkostung:

Die chinesischen Bordeaux-Blends verfügen ganz offensichtlich über eine eigenständige Typizität, die ihre Herkunft erkennen lässt. So erkannten die insgesamt elf Verkosterinnen und Verkoster bei nicht weniger als acht der insgesamt zehn chinesischen Gewächse mehrheitlich die Herkunft. Das ist aussergewöhnlich, weil sich diese geografische Zuordnung bei fast allen VINUM-Profipanels der letzten Jahre, egal ob Chardonnay, Syrah oder Pinot Noir aus verschiedenen Ländern verkostet wurden, als sehr schwierig, ja oft kaum möglich herausgestellt hat. Bleibt die Frage, wie sich dann diese besondere chinesische Cabernet-Stilistik beschreiben liesse. «Es könnte sein, dass viele Verkoster bereits ein relativ gut akzentuiertes Bild eines Bordeaux- oder Napa-Valley-Crus entwickelt haben und darum jene Weine nach China verortet haben, die sie nicht eindeutig diesen zwei Stilistiken zuordnen konnten», meint beispielsweise die Sommelière Lidwina Weh.

Eine Analyse der Weinbeschreibung lässt darauf schliessen, dass es sich beim Prototyp eines chinesischen Top-Cabernets um einen konzentrierten, expressiven Wein mit warm anmutender Charakteristik handelt. Am Gaumen verfügen die Weine aber trotz ihrer Fruchtfülle über eine solide Tanninstruktur und eine präsente Säure. Damit haben die chinesischen Top-Crus womöglich mehr mit den Neue-Welt-Cabernets gemeinsam als mit den Klassikern aus Bordeaux. Aber dies ist nur eine Momentaufnahme. Das Weinland China wird uns weiterhin überraschen!

Brauchen wir Weine aus China?

Beispielsweise mit der Sorte Marselan. Die 1961 in Montpellier erfolgte Kreuzung aus Cabernet Sauvignon und Grenache wurde in China erstmals im Jahr 2001 von der Domaine Franco Chinois in Huailai in der Provinz Hebei unweit von Peking angepflanzt. Das Weingut ist ein Gemeinschaftsprojekt der Behörden Frankreichs und Chinas. Zwar sind heute erst 260 Hektar mit der Sorte bepflanzt, doch damit verfügt China nach Frankreich bereits über die zweitgrösste Marselan-Anbaufläche weltweit. Nach Meinung von Fachleuten ist die Sorte sogar dazu prädestiniert, die chinesische «Signature Grape» zu werden. Spät reifend, mit guter Resistenz, ergibt sie ausgewogene Weine mit moderatem Tanningerüst und ansprechenden Aromen von roten und dunklen Beeren, Blumen und Kräutern. Inzwischen ist in China die Euphorie um die Sorte so gross, dass sie jährlich mit einem Marselan Day gefeiert wird.

Bleibt die Frage, ob wir hierzulande überhaupt chinesische Qualitätsweine geniessen sollen, wo doch die klassischen Weinbauländer Europas genug Wein produzieren. Tatsächlich ist das Bewusstsein für das eigene, europäische Weinschaffen wieder gestiegen, was es für Weine aus der Neuen Welt schwierig macht, ihre Marktanteile auszubauen. Zudem ist das Verhältnis zwischen Europa und China im Zuge der Covid-19-Pandemie und der wachsenden Handelskonflikte schwieriger geworden, was das Genuss-Potenzial der chinesischen Crus beeinträchtigen könnte. Andererseits: Die Weinkultur kennt keine Grenzen, dafür Neugierde auf neue Genusserlebnisse. Und solche können die neuen chinesischen Crus durchaus bieten. Zudem: Billigprodukte gibt es aus China schon mehr als genug. Da ist es doch ein Privileg, dass Weinliebhaber sich nun davon überzeugen können, dass China auch Exklusives zu bieten hat.

Ningxia gibt den Ton an

Alle vier chinesischen Crus, die im VINUM-Profipanel in die Top Ten vorstossen konnten, stammen aus der Region Ningxia an der Grenze zur Inneren Mongolei.

Das wohl verrückteste Terroir, um einen chinesischen Top-Cabernet hervorzubringen, hat sich das Haus LVMH ausgesucht. An der Grenze zu Tibet kultivieren die französischen Investoren in den Ausläufern des Himalayas in Höhenlagen von bis zu 2500 Metern über Meer rund 300 Parzellen. Hier reift ihr Ao Yun, ein «State of the Art»-Blend aus Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc. Im fast grösstmöglichen Gegensatz dazu bauen die Domaines Barons de Rothschild ihren Top-Bordeaux-Blend Long Dai an, nämlich in einem Monsunklima im Nordosten des Landes. Ihre Rebgärten befinden sich im Qiu Shan Valley (Provinz Shandong), nur 40 Kilometer von der Hafenstadt Yantai entfernt.

Doch die beiden Prestigeprojekte sind Ausnahmen. Denn in den letzten Jahren hat sich immer deutlicher eine Region als Hotspot des Qualitätsweinbaus profiliert: Ningxia im nördlichen Zentrum des Landes. Alle vier chinesischen Crus, die im VINUM-Profipanel in die Top Ten vorstossen konnten, stammen aus dieser Region. Das Gebiet grenzt an die Innere Mongolei. Unweit der Wüste Gobi wurzeln hier die Reben auf einem Hochplateau zwischen den Ausläufern des Helan-Gebirges und dem Gelben Fluss rund 1200 Meter über Meer. Karge Böden mit viel Kies und Sand sowie ein extremes, sehr windiges und trockenes Wüsten-Kontinentalklima prägen das Terroir, in dem vor allem der Cabernet Sauvignon seine besten Eigenschaften entfaltet. Extrem sind die Temperaturschwankungen in Ningxia. Klettert das Thermometer im Sommer auf 40 Grad Celsius, so sind im Winter extreme Kälteeinbrüche mit bis –30 Grad keine Seltenheit. Damit die Reben überleben, werden die Stöcke nach der Ernte so tief wie möglich horizontal über dem Boden erzogen und bei Winteranbruch durch angehäufte Erde vollständig bedeckt. Jeden Frühling werden dann die Reben wieder von Hand ausgegraben.

Legacy Peak war Ende der 90er Jahre hier das erste Weingut, das mit Topselektionen wie dem Family Heritage Cabernet für Furore sorgte. Doch der eigentliche Boom begann erst nach 2010. Waren 2018 in Ningxia noch keine 30'000 Hektar mit Reben bestockt, so sollen es 2025 schon 66'000 Hektar sein. Auch die Zahl der Kellereien ist rasant auf heute annähernd 200 gestiegen. Auch der inländische Weintourismus nimmt zu. Und seit 2013 arbeiten Weingüter und Behörden zusammen an einem von Bordeaux inspirierten, aber um verschiedene Faktoren erweiterten Klassifizierungssystem. Gleichzeitig wird das Qualitätsdenken durch verschiedene Initiativen dynamisch gefördert. Dazu gehört etwa die «Ningxia Winemakers Challenge». Für die 2015er-Edition dieses Wettbewerbes wurden 48 Winemaker aus 17 Ländern eingeladen. Jeder Weinmacher bekam eine drei Hektar grosse Parzelle aus einem 18 Jahre alten Rebberg zugeteilt, deren Ernte er dann in einer ihm ebenfalls zugewiesenen Kellerei vinifiziert hat. Der im Rahmen dieses Wettbewerbs gekelterte 2015er Cabernet Sauvignon der englischen Önologin Sarah Williams war in diesem VINUM-Profipanel der bestbewertete Cru aus China.

1 Xinjiang

2 Gansu

3 Ningxia

4 Hebei

5 Jilin

6 Shandong

7 Yunnan

Die Top-Ten-Weine der Verkostung

RangBeschreibung
1
18,5/ 20
Punkte
Napa Valley, Kalifornien Northcoast, Kalifornien, USA
Continuum Estate (Tim Mondavi)
2
18,5/ 20
Punkte
Bordeaux - Médoc & Graves, Bordeaux, Frankreich
Château Haut-Bailly
3
18,0/ 20
Punkte
China
Ningxia Hezun Winery
4
18,0/ 20
Punkte
Napa Valley, Kalifornien Northcoast, Kalifornien, USA
Merryvale Vineyards
5
18,0/ 20
Punkte
Bordeaux - Médoc & Graves, Bordeaux, Frankreich
Château Léoville Poyferré
6
18,0/ 20
Punkte
China
Chateau Changyu Moser XV
7
18,0/ 20
Punkte
China
Helan Qingxue
8
18,0/ 20
Punkte
Bordeaux-Libournais, Bordeaux, Frankreich
Château Péby-Faugères
9
18,0/ 20
Punkte
Napa Valley, Kalifornien Northcoast, Kalifornien, USA
Heitz Cellar
10
18,0/ 20
Punkte
China
Legacy Peak

Was die Verkoster sagen

«Ich habe in dieser Blindprobe tendenziell jene Weine dem Ursprungsland China zugeordnet, bei denen ich einen Konflikt zwischen dem Eindruck in der Nase und am Gaumen feststellen konnte. Dies in der Meinung, dass in Europa und Kalifornien das Gespür für die Traube, das Klima und den Ausbau immer noch grösser ist als in China. Doch diese Regel gerät mehr und mehr ins Wanken. Die chinesischen Produzenten haben mächtig zugelegt!»

Lidwina Weh Sommelière, Wohlen

«Kaum je zuvor wurden die neuen chinesischen Topweine so umfassend mit Ikonenweinen aus Europa und den USA verglichen wie in dieser VINUM-Probe. Und obwohl ich seit 2015 selber chinesische Top-Crus produziere, war es für mich schwer, die chinesischen Gewächse zu erkennen. Das ist ein grosser Erfolg für China. Klar ist aber auch, dass die chinesischen Top-Crus noch immer rare Ausnahmen sind.»

Lenz Moser Château Changyu Moser XV, Ningxia

«Die ganze Verkostung bewegte sich auf sehr hohem Niveau. Die Unterschiede zwischen den Crus aus China, Europa oder Kalifornien waren minimal. Auch die chinesischen Gewächse bieten eine überraschende Varietät, von Peperoni geprägter Unreife bis zu dörrfruchtiger Überreife. Die Handschrift der Produzenten ist erkennbar, egal ob Bordeaux oder China. Das ist sehr positiv. Neue Konkurrenz belebt die Szene!»

Ben Lohrer Weinhändler, Mövenpick-Weine, Baar

«Es ist einige Jahre her, seit ich das letzte Mal chinesische Bordeaux- Blends verkostet habe. Damals war ich wenig begeistert, doch diese Probe korrigiert mein Bild nun. Chinas Weinszene entwickelt sich offensichtlich in jeder Beziehung dynamisch. Tendenziell vermute ich, dass die chinesischen Crus mit ihrer warmen, expressiven Art eher an Gewächse aus der Neuen Welt erinnern, aber wer weiss, ob das morgen auch noch so ist.»

Nicole Vaculik Sommelière, Meersburg

Die Jury

Von links nach rechts

Beat Caduff (unten links) Gastronom in Zürich
Sein Favorit: Château Pontet-Canet 2017, Pauillac (F)

Markus Segmüller (unten Mitte) Gastronom in Zürich
Sein Favorit: Purple Air comes from the East 2016, Château Changyu Moser XV, Ningxia (CHN)

Alain Kunz (unten rechts) Journalist in Zug
Sein Favorit: Continuum 2016, Continuum Estate, Napa Valley (USA)

Nicole Vaculik (Mitte links) Sommelière, Meersburg
Ihr Favorit: Cabernet Sauvignon Trailside Vineyard 2014, Heitz Wine Cellars, Napa Valley (USA)

Paul Liversedge (Mitte Mitte) MW Weinhändler in Zürich
Sein Favorit: Ornellaia «Il Carisma» 2015, Tenuta dell’Ornellaia, Bolgheri (I)

Thomas Vaterlaus (Mitte rechts) Chefredaktor VINUM in Zürich
Sein Favorit: Profile 2016, Merryvale Vineyards, Napa Valley (USA)

Lidwina Weh (oben links) Sommelière in Wohlen
Ihr Favorit: Château Haut-Bailly 2018, Pessac-Léognan (F)

Ben Lohrer (oben, Zweiter von links) Weinhändler in Zürich
Sein Favorit: Continuum 2016, Continuum Estate, Napa Valley (USA)

Hans Babits (oben, Dritter von links) Académie du Vin in Zürich
Sein Favorit: Jia Bei Lan Reserve 2016, Helan Qingxue, Ningxia (CHN)

Lenz Moser (oben, Zweiter von rechts) Château Changyu Moser XV in Ningxia
Sein Favorit: Family Heritage Cabernet Sauvignon 2017, Legacy Peak, Ningxia (CHN)

Ilona Grau-Tschopp (oben, ganz rechts) Weinhändlerin in Zürich
Ihr Favorit: Ningxia Winemaker’s Challenge, Sarah Williams 2015, Hezun Winery, Ningxia (CHN)

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