«Toscanità» an der Küste

Tenuta di Ghizzano, Toskana

Text: Christian Eder, Fotos: z.V.g.

Dachte man einst bei der Toskana an die Hügel des Chianti Classico und Sangiovese, dann hat sich das längst geändert. Ginevra Venerosi Pesciolini hat an der Küste südlich von Pisa ein einzigartiges Terroir erforscht.

Längst hatte sich Ginevra Venerosi Pe­sciolino in der Weinwelt einen Namen gemacht: Ihre Rotweine Veneroso und Nambrot zählen zum Besten, was die toskani­sche Küste an eleganten, langlebigen Kreszen­zen zu bieten hat. Der Veneroso hat die urei­genste Traube der Toskana, die Sangiovese im Fokus, der Nambrot Merlot (im Blend mit Ca­bernet Franc und Petit Verdot). Das war der Winzerin aber noch nicht genug. Als überzeug­te Biodynamikerin entschied sie sich vor weni­gen Jahren, in den Kellern des Familienbesit­zes im mittelalterlichen Ghizzano Weine auch in Cocciopesto und Terrakotta reifen und fer­mentieren zu lassen.

Begonnen hat alles Mitte der 1990er Jah­re, als die Burgunderliebhaberin Ginevra ihre Arbeit in einem Verlag in Florenz sausen liess und am Familiensitz, der Tenuta di Ghizzano in Peccioli, in die Fussstapfen ihres Vaters Pier­francesco trat. Zuerst noch in Teilzeit und al­ternierend mit ihrem Job in Florenz, bald dann Fulltime, widmete sie sich den damals zehn Hektar Reben und dem Rest der landwirt­schaftlichen Produktion.

Intakte Umwelt für künftige Generationen

Zu dieser Zeit war die toskanische Küste weitgehend noch Terra Bianca, erst im Gefol­ge der Erfolge der Bolgheri-Weingüter began­nen immer mehr Winzer in der Maremma und nördlicher, im Hinterland von Livorno und Pisa, Weine im Bordelaiser Stil zu keltern. Wie auf den Hügeln von Ghizzano, die sich rund 40 Kilometer von Pisa entfernt aus der Ebene erheben. Hier residiert die Adelsfamilie Ve­nerosi – karolingischen Ursprungs – seit 1370. Die herrschaftliche Villa ist heute das Herz der Kellerei und eines 270 Hektar umfassenden Familienbetriebes, in dem neben Wein (auf 18 Hektar) auch Olivenöl und Getreide nach biodynamischen Kriterien produziert werden. Rotblühende Sulla (Kronen-Süssklee) und Wildgetreide sorgen für eine natürliche Balan­ce des Bodens: Die darauf wachsenden Reben sind deshalb «pumperlgsund», das sieht man sofort, wenn man durch die Zeilen wandert und den Ausblick auf die grünen Hügel rundherum geniesst.

In der Biodynamie, der Balance mit der Na­tur und dem möglichst schonenden Umgang mit den Ressourcen, sieht die Winzerin auch den Kern ihrer Philosophie, vor allem um künf­tigen Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen. Ginevra: «Das Resultat zeigt sich vor allem im Glas: Die Weine sind klarer, lebhaf­ter und schöner zu trinken.» Die Trauben stam­men aus 18 Hektar Weingärten und zehn ein­ zelnen Reblagen in Positionen zwischen 150 und 200 Metern über Meer. 80 Hektar des Be­sitzes sind weiterhin dem Getreideanbau ge­widmet (Weizen und Kichererbsen, die unter der Linie «land2hand» vermarktet werden), und weitere 25 Hektar sind mit Olivenbäu­men bepflanzt – die Basis eines ebenfalls her­vorragenden, nach biologischen Kriterien pro­duzierten Öls aus den Sorten Frantoio, Razzo und Leccino.

Und es ist eine kleine, feine Auswahl an Wei­nen, die in den Kellern der Tenuta reifen: Neben einem Passito namens San Germano kommen Weiss­ und Rotweine unter den Ursprungsbe­zeichnungen IGT Costa Toscana und der 2011 geschaffenen DOC Terre di Pisa auf den Markt. Gerade die Terre di Pisa haben es Ginevra an­getan. «Die Terre di Pisa sind ein einzigartiger Teil des italienischen Weinbaus, ein Gebiet, das Toscanità mit den Einflüssen des Tyrrheni­schen Meeres verbindet», sagt die Winzerin.

 «In den Terre di Pisa findet man zahlreiche Juwelen, die es zu entdecken lohnt.

Des­halb ist Ginevra Venerosi Pesciolini auch Vizepräsi­dentin im 2018 gegründe­ten Produzentenkonsorti­um, das inzwischen mehr als ein Dutzend Kellereien umfasst. «Die Weine, die als Terre di Pisa firmie­ren, sollen den Goût de Terroir dieses Gebietes zwischen Inland und Küste hervorheben», sagt sie. «Oft findet man eine salzige Mineralität, die dieser Zone eigen ist.» Diesen Einfluss des Mee­res sieht man auch in Muscheln und Fossilien, an denen die Böden reich sind. Mineralität und Eleganz prägen daher auch alle Weine von Ginevra Venerosi Pesciolini: Das beginnt bei der Linie Il Ghizzano mit je einem fruchtigen Weiss­ und Rotwein (aus Sangio­ vese). Sangiovese dominiert neben Cabernet Sauvignon ebenfalls den Flaggschiffwein des Gutes, den Veneroso, den die Tenuta di Ghiz­zano 1985 erstmals produzierte. Dazu gesell­te sich 1996 mit dem Nambrot ein reinsortiger Merlot, der heute im Blend mit Cabernet Franc und Petit Verdot zeigt, welches Potenzial diese Rebsorten an der toskanischen Küste besitzen. Nambrot hiess übrigens der Ahnherr der Fami­lie Venerosi, um 830 erstmals erwähnt. Hinzu kamen jüngst noch zwei Weine der neuen Linie Mimesi, die in Amphoren aus Coc­ ciopesto (eine Mischung aus Tonscherben und Kalk) und Terrakotta reifen. Der Costa Tosca­ na IGT Mimesi Bianco ist ein Vermentino von lehmigen Böden, vier Monate in Terrakotta auf den Feinhefen belassen, und der Terre di Pisa DOC Mimesi Rosso ist ein reinsortiger Sangio­vese, 14 Monate in Cocciopesto-­DT-Amphoren ausgebaut. «Cocciopesto hebt den Fruchtcha­rakter und die Linearität der Weine hervor», ist Ginevra überzeugt.

«Wir verwenden Holz und Amphoren nur als Werk­zeug für die Entwicklung des Weines. In den Weinen soll eine klare Fruchtigkeit dominieren, sie sollen aus­ balanciert sein. Gerade Ve­neroso und Nambrot sind deshalb bei aller Langlebigkeit schon in jungen Jahren harmonisch.» 

Verkosten kann man diese Weine alle natür­lich in der Tenuta di Ghizzano selbst. Rundhe­rum findet man auch die passende touristi­sche Infrastruktur: Eine von Ginevras beiden Schwestern, Francesca, kümmert sich um das angeschlossene Resort mit Apartments und Villen. Und im Borgo Ghizzano mit seinen 300 Einwohnern findet man einen kleinen Gemischtwarenladen ebenso wie eine Bäcke­rei. Das ganze Ensemble mit Borgo und Villa ist eingebettet in eine toskanische Landschaft, zu der auch ein harmonischer italienischer Garten im Stil der Spätrenaissance gehört. Der Reife­ keller und ein kleiner Verkaufsraum sind gleich daneben in den Kellern des Ansitzes unterge­bracht. Aber der Platz sei begrenzt, sagt Ginev­ra. In den nächsten Jahren, so ihr Wunsch, soll daher das Ensemble rund um die herrschaftli­che Villa umgebaut werden. Dann soll es einen modernen Degustationsraum mit einer Terras­se geben, von der man auf die Hügel der Terre di Pisa blicken kann.

Weine im Clubpaket

Costa Toscana IGT Il Ghizzano 2019

2023 bis 2026

Noten von roten Früchten, auch Veilchen und feine Würze; der Auftakt kompakt, in perfekter Harmonie zwischen Struktur und Säure, klare Kombination aus Würze und Frucht im Nachhall.

Mariage: idealer Begleiter zu Pasta und leichten Sommergerichten, aber auch zur deftigen toskanischen Küche.

Costa Toscana IGT Nambrot 2017

2023 bis 2030

Erinnert im Bouquet an Kirschen, Rosmarin und Waldfrüchte; eine Textur mit vifer Säure und feinkörnigem Tannin, die einzelnen Komponenten sind gut ausbalanciert, besitzt Charakter und Tiefe, anhaltendes Finale.

Mariage: passt zu gebratenem oder gekochtem Rindfleisch, zu Wild und gereiftem Käse.

Terre di Pisa DOC Veneroso 2016

2024 bis 2032

omplexe Aromatik mit Noten von reifen Schwarzbeeren, mediterraner Macchia und Schokolade; im Mund geschmeidig, mit engmaschigem Tannin und gut eingebundener Säure, vereint Tiefe mit Schliff. Endet ellenlang.

Mariage: zu Lammgerichten, Wildküche oder einem Bistecca Fiorentina.