«Der Konsument möchte immer das Gleiche. Ich möchte Diskussion, Austausch, Evolution.»

Tomàs Cusiné zählt zu den innovativsten Weinmachern ­Spaniens

Text und Fotos: Miguel Zamorano

Die Weine von Tomàs Cusiné findet man nicht nur im Fachhandel, sondern auch in Supermärkten, bei denen der Einkauf etwas von Wein versteht. Dabei hatte der katalonische Winzer am Anfang selbst wenig Ahnung von Rebsorten und Co. Heute zählt er zu den innovativsten Weinmachern Spaniens. Wie hat er das hinbekommen?

Die alte Pumpe ist jetzt nur noch ein Museumsstück. «Die habe ich noch arbeiten sehen», sagt Tomàs Cusiné, als er den Besucher durch die Kellerräume seines Castell del Remei führt. Er lacht und schüttelt seinen Lockenkopf. Die Pumpe und weitere Artefakte säumen den Rampenrand, der hinabführt in das zentrale Lager, wo Holzfässer sauber aufeinandergestapelt sind. Die Halle wird von sanften Bögen gestützt; der Bau, mehrheitlich aus Stampflehm, zählt zu den wichtigsten seiner Art in ganz Katalonien.

Plötzlich hält Tomàs Cusiné inne. «Was habe ich bloss für Stunden in diesem Keller verbracht», platzt es aus ihm heraus. «Das kann und sollte man einfach nicht zusammenrechnen.» Jeder Unternehmer würde bei diesem Aufwand wohl einen Herzkollaps erleiden und tot umfallen. Dass der Eigner von Castell del Remei aber aufrecht steht und solche Sätze sagt – die Augen zusammengekniffen, den Körper leicht vorgebeugt – ist wohl seiner Leidenschaft zu verdanken, die er mitbrachte, als seine Familie das Traditionshaus erwarb.

Damals, in den 80er Jahren, war das Haus, das eine lokale Industriellen-Familie nach Bordelaiser Vorbild Ende des 19. Jahrhunderts gegründet hatte, nur noch ein Schatten seiner selbst. «Es gab mehr Besitzer als Konsumenten, und der Verwalter verfolgte nur seine eigenen Interessen», erzählt Cusiné. Tomàs, Sohn eines Händlers von Landwirtschaftsgeräten, Früchten und Getreide, ist Mitte 20, als sein Vater ihm die Leitung des Weinguts übergibt.

Von Wein hatte der BWLer keine Ahnung. «Wenn es regnete, stand ich im Keller knöcheltief im Wasser», erzählt Cusiné. «Das Weinmachen habe ich mir selbst beigebracht.» Diese Worte kommen aus dem Mund von einem, der heute als einer der innovativsten Weinmacher Spaniens gilt; einem, der mit seinen Cuvées fast im Alleingang die DO Costers del Segre im katalonischen Hinterland aus dem Schatten der grossen Regionen wie Priorat oder Penedès führte. Dafür wird Cusiné von manchem Kollegen bewundert. «Was er da aufgezogen hat, das ist schon sehr stark», sagt ein Winzer aus dem Penedès.

Wie hat Cusiné das geschafft? In den Verkostungsräumen von Castell del Remei schenkt er nun zwei Weine aus. Den Gotim Blanc, eine Cuvée aus Sauvignon Blanc und Macabeu, sowie den rote Gotim Bru, ein Verschnitt aus Syrah, Tempranillo, Garnatxa, Merlot und Cabernet Sauvignon. Sie sind schmackhaft, mit schöner Spannung und gehaltvoll. Weine, die man nicht nur im Fachhandel findet, sondern auch in Supermärkten, bei denen der Einkauf was von Wein versteht. Kurz gesagt: sehr demokratische Weine. Beide oben genannten Cuvées machen gut die Hälfte der Produktion aus. Im deutschsprachigen Markt ist dagegen der rote Llebre verbreitet. Das Verschneiden von spanischen mit französischen Sorten und die Tatsache, dass er dabei stets den Weinliebhaber im Fokus behält – das begründet den Ruf von Tomàs Cusiné.

«Der Konsument möchte immer das Gleiche. Ich möchte Diskussion, Austausch, Evolution.»

­Tomàs Cusiné

«Der Konsument möchte immer das Gleiche», sagt Cusiné und lächelt verschmitzt wie ein Kantinenkoch, der weiss, dass er die Bude nur am Schnipotag voll bekommt. Dann fügt er hinzu: «Ich aber suche nach neuen Wegen. Ich möchte Diskussion, Austausch, Evolution. Darum machen wir noch weitere 40 Cuvées».

Cusiné steigt nun in seinen Geländewagen. Der Wagen nimmt Fahrt auf und düst über die Landstrasse, vorbei an grossen Feldern, auf denen Obstbäume wachsen. Alles grünt. Cusiné fährt weiter, lässt das Städtchen Mollerussa links liegen, wo er mit seiner Familie seit eh und je lebt, auf halber Strecke zwischen Castell del Remei und seinen Weingütern an den Muntanyes de Prades. Je näher man den Bergen im Süden der Provinz Lleidas kommt, desto rauer wird die Landschaft, mediterranes Gestrüpp gedeiht an der Wegseite, die Strasse bekommt immer mehr Kurven, der Weg wird zunehmend steiler. Die Luft ist trocken, und doch ist es hier im Sommer einige Grade kühler als auf der Ebene von Castell del Remei. «Da herrscht im Sommer eine Hitze wie in der Atacama-Wüsten», sagt Cusiné. Daher umgeben 15 Hektar Reben das Castell del Remei, 85 weitere Hektar befinden sich in Cérvoles und Vilosell.



Dort angekommen, fährt der Winzer seinen Wagen an vielen Parzellen vorbei, die sich auf einer Höhe von über 700 Metern befinden. Hier hat Cusiné 2003, als er die Ebene von Urgell verliess und das Projekt Tomàs Cusiné ins Leben rief, 17 Rebsorten gepflanzt. Jetzt ist die Zeit gekommen, den Weinberg ein Stück zu erneuern. «Drei Hektar pro Jahr bestelle ich neu», erklärt der Winzer, in der Hand den Lenker des Pick-ups, der am Parzellenrand über Schotter brettert. «Dort,» – er zeigt auf knorrige Reben – «da nehme ich Stück für Stück die ertragsarmen Pflanzen raus und setze junge rein.» Ausserdem reduziert Cusiné derzeit die Merlot-Anteile in seinen Parzellen. Stattdessen kommen nun vermehrt Syrah und Garnacha zum Einsatz. «Ich brauche Rebsorten mit dickem Kern, mit Fruchtfleisch; Sorten, die sich gut in einem trockenen Klima behaupten können», sagt dazu der Winzer.

Alles ständig in Frage zu stellen, an Bewährtem festzuhalten und stets Neues auszuprobieren, das ist nicht nur aus der Laune eines Winzers heraus geboren, der umtriebig ist. «Hätte ich hundert Jahre Tradition im Rücken und entsprechend gepflegte Lagen geerbt, wäre das was anderes», hat der Weinmacher noch bei Castell del Remei erklärt. Ausserdem: «Warum ständig das Gleiche machen, wenn man doch immer wieder Sachen ausprobieren kann?» Er gibt dann auch zu verstehen, dass seine Önologen auf den verschiedenen Weingütern diese Freiheit benötigen, um sich stets an Neuem auszuprobieren. Einen Riesling Pét Nat machen oder einen Viognier in Amphoren ausbauen? Solche Mini-Editionen werden dann wie Versuchsballone platziert, und was fliegt, kann dann entsprechend wiederholt werden.

Dass bei Tomàs Cusiné die Experimentierfreude auch in verkaufbare Flaschen mündet, dafür ist Gemma Plaza zuständig. Seit 2003 steht die stille, zurückhaltende, aber stets lächelnde Önologin dem umtriebigen Cusiné zur Seite. Ihre Aufgabe: Wenn die Cuvées auf die Flasche gezogen werden, dafür zu sorgen, dass die richtige Assemblage in den richtigen Behälter kommt. Was bei gut 40 Weinen Fingerspitzengefühl und Organisationstalent voraussetzt. «Gemma ist meine rechte Hand», sagt Cusiné dazu kurz.

Ein Mann sticht in See

Bei Cérvoles Celler rückt der Weinmacher nun an einen grossen Holzfuder, in dem eine Partie Macabeu reift. Woanders verkommt der Macabeu zu einem einfachen, etwas plumpen Wein. Doch hier oben, da sieht Cusiné das alles anders: «Auf dieser Höhe wird der Macabeu geradlinig, ohne dass die Säure die Struktur erdrückt. Die Sorte hat das Potenzial, einen grossen Wein hervorzubringen.» Der Macabeu Vinyes Velles (Alte Reben) aus der knapp 2,5 Hektar grossen Finca Racons, in der 2017er Edition, zeigt schon mal, wie sich Cusiné das vorstellt: komplex, aber einladend in der Nase, am Gaumen kraftvoll und doch saftig.

In den Bergen tobt sich der Weinmacher Cusiné richtig aus. Hier kommt er aber auch zur Ruhe. Wenn er ein paar Gänge runterschalten will, zieht er sich in einen alten Schiffscontainer zurück. Hier hat er eine kleine Werkstatt eingerichtet, hier beugt er sich über ein kleines Schiff aus Holz, das er liebevoll repariert. «Eigentlich bin ich ja kein Mann der See», Cusiné hebt seine Schultern. Aber insgeheim ist er wohl in Gedanken mit seinem kleinen Museumsstück unzählige Male in See gestochen.

Moderne Weine

Castell del Remei, Tomàs Cusiné und Cérvoles Celler (alle DO Costers del Segre) schlagen gekonnt den Bogen zwischen Moderne und eigenwilligen Kreationen.


Castell del Remei
Gotim Bru 2019

16.5 Punkte | 2022 bis 2025

Syrah, Tempranillo, Garnatxa, Merlot und Cabernet Sauvignon. Sanfte Holzwürze, dunkle ätherische Frucht. Saftiger Ansatz, feines Tannin, diskret, mit schöner Länge ausgestattet. Ein Crowdpleaser.

Tomàs Cusiné
Auzells 2021

16.5 Punkte | 2022 bis 2025

Die Cuvée aus Macabeu, Riesling, Sauvignon Blanc, Chardonnay, Albariño, Müller-Thurgau und Roussane verblüfft mit ihrer stoffigen Zitrusfruchtnase. Am Gaumen saftig und mit leicht salzigem Biss, animierend, schöner Abgang.
Der perfekte Terrassenwein.

Tomàs Cusiné
Finca Racons Vinyes Velles de Macabeu 2017

17 Punkte | 2022 bis 2027

Aus der 2,5 Hektar grossen Finca Racons. Je zwölf Monate im 2000-Liter-Holzfass und auf der Flasche. Apfelmost, Zimt und Brotkruste. Am Gaumen kraftvoll, voller Schmelz, gleichzeitig wickelt sich die Struktur um einen saftigen Fruchtkern. Langer Abgang mit roten Apfelnoten. Spannend.

Tomàs Cusiné
Finca Barqueres Carinyena 2017

17.5 Punkte | 2022 bis 2027

Zwölf Monate in Barriques aus zweiter Belegung. Rote Kirschen paaren sich mit Himbeere und erdigen Noten. Am Gaumen intensiv, mit guter Konzentration und viel Saft. Das Tannin wunderbar seidig, griffig, frische Säure und ein Abgang mit Orangenzesten.

Cérvoles Celler
Cérvoles Blanc 2019

17 Punkte | 2022 bis 2026

Macabeu und Chardonnay, im 3000-Liter-Fuder gereift. Butternoten, Zitrusfrucht und Aprikose. Der Gaumen kraftvoll und mit diskreten Vanillearomen ausgestattet. Endet lang mit Apfelanklängen. Ein idealer Speisebegleiter.

Cérvoles Celler
Garnatxa de Cérvoles 2019

18 Punkte | 2022 bis 2028

Im 4000-Liter-Fass ausgebaut. Delikate Nase, rote Frucht, Erdbeere und mediterrane Kräuter in der Nase. Am Gaumen kräftiger Ansatz, aber straff in der Struktur, konzentriert und mit viel Kräuterwürze; das Tannin sehr gut eingebunden. Lang und saftig. Sehr gelungen.

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