Ein Leben für den Silvaner

Horst Kolesch

Text: Harald Scholl, Fotos: i-cue-medien, z.V.g., Rolf Nachbar

Es mag wie eine Ewigkeit klingen, es ist aber «nur» ein Berufsleben. 40 Jahre für ein und denselben Arbeitgeber tätig zu sein, das gibt es auch ausserhalb der Weinwelt nur noch selten. Horst Kolesch hat das Juliusspital durch fordernde Zeiten gelenkt, der Weingutsleiter schaffte es, über die Jahre mit ruhiger Hand den Ruf des Weingutes und des Silvaners zu steigern. Im November geht er in den Ruhestand. Zeit, um zurück- und vorauszublicken. 

Seit über 445 Jahren besteht die Stiftung Juliusspital in Würzburg. Ihr Auftrag ist es, mildtätig und gemeinnützig für das Wohl von Alten, Kranken und Bedürftigen einzutreten. So hat es Stiftungsgründer Julius Echter von Mespelbrunn definiert, so wird es bis heute gelebt. Das Weingut im Würzburger Juliusspital als ein Teil der Juliusspital-Stiftung hat dabei den Auftrag, zum Gelingen der Stiftungsaufgabe beizutragen. Auf gut Deutsch: wirtschaftlich erfolgreich zu sein und so die anderen Bereiche des Juliusspitals – das Krankenhaus, das Seniorenstift, das Hospiz – zu unterhalten. Das ist der erste, ganz wesentliche Unterschied zu praktisch allen anderen Weingütern auf der Welt. Horst Kolesch sieht weitere Besonderheiten: «Dass wir eine gewisse Position haben aufgrund der Grösse des Weinguts, steht ausser Frage. Vor allem auch im Anbaugebiet, da wird schon sehr genau geschaut, was wir so machen. Gar nicht einfach ist es auch im VDP, dem Verband Deutscher Prädikatsweingüter, eine wirkliche Rolle zu spielen. Natürlich hat man als Grossunternehmen ganz andere Musik im Betrieb, das ist völlig anders als ein Zehn- oder Fünfzehn-Hektar-Betrieb in Rheinhessen.» Schwierig war diese Aufgabe, die Grösse koordiniert zu bewirtschaften, manchmal schon, gibt Kolesch zu. Da waren immer wieder auch Selbstzweifel dabei, das kritische Hinterfragen, ob man das alles denn überhaupt hinbekommt. Grundsätzlich schliessen sich die Grösse des Betriebs und die Qualität der Weine nicht grundsätzlich aus, aber man kann kein ultraschickes Boutique-Weingut werden. «Aber wir waren und sind immer eine sichere Bank in diesem hochwertigen Bereich», ist Kolesch überzeugt.

Das Weingut zu koordinieren, die Abläufe aufeinander abzustimmen, alle mitzunehmen – das war und ist nach wie vor, organisatorisch eine Herausforderung. Kolesch hat über die Jahre sehr viel gebündelte Kompetenz im Weingut aufgebaut, im Aussenbetrieb, im Keller und in der Verwaltung. Zudem hat er dafür gesorgt, dass alle Details der Weinbereitung, die ganze Technik im Weingut konzentriert wurden. Zudem hat er über die Jahre ein glänzendes Lagenportfolio aufgebaut. Auch das war kein reiner Selbstzweck. Kolesch sieht nicht nur das Juliusspital in der Verantwortung, Rebflächen in fränkischer Hand zu belassen und im Fall der Fälle zu kaufen, bevor es jemand anderes tut. Das Verhältnis zu den anderen grossen Weingütern in der Stadt, dem Staatlichen Hofkeller und dem Bürgerspital, ist aus Koleschs Sicht von grosser Bedeutung: «Das ist ein Wettbewerb im besten olympischen Sinne – schneller, weiter, höher. Aber nicht, um den anderen zurückzudrängen, sondern um gemeinsam zu laufen. Ich sehe es im Sport bei meinem Junior, er ist Läufer. Er und seine Mitstreiter freuen sich so richtig miteinander, beobachten sich und reden darüber. Das ist für mich eine schöne Orientierung gewesen.»

Ein Weingut ist keine Insel

Horst Kolesch ist ein Realist. Ihm ist völlig klar, dass das Juliusspital und das Anbaugebiet Franken nicht im Zentrum des Interesses der deutschen und internationalen Weintrinker stehen. Die Phalanx von Rhein und Mosel, die Anbaugebiete Rheinhessen, Rheingau, Mosel und Nahe, also der klassische Rheinwein, haben eine ganz andere Historie, einen ganz anderen Fokus in der Aufmerksamkeit, da ist er sich sicher. Daran haben auch die 1970er Jahre, die sogar in Franken für eine gewisse Verwöhnung bei den Winzern gesorgt hatten, nichts geändert. «Der Markt war da, es hat die Literflasche Wein für zehn Mark bei der GWF (Anm.:Genossenschaft Gebiets Winzer Franken) gegeben. Das war natürlich auch etwas überzogen, und der Verbraucher ist dann abgewandert.» Mit fatalen Konsequenzen, denn die Rahmenbedingungen waren auch nicht ideal. In den Jahren 1982/83 gab es riesige Erträge, auch weil vorher dank des Erfolgs neue Weinberge angelegt wurden, mit neuen ertragreichen Klonen. Die haben das erste Mal so richtig getragen, die Keller waren voll. 1984 war eher ein kleines Ertragsjahr mit schlechtem Qualitätsniveau, und 1985 kam ein Jahrhundertfrost. Am Ende sind 20 Prozent der Flächen gerodet worden, die Preise und die Qualität der fränkischen Weine lagen am Boden. «Wir sind dann beherzt eingestiegen, haben 1990, 1992 und 1993 energisch den Ertrag reguliert. Wir wurden damals als verrückt erklärt, weil wir Trauben rausgeschnitten hatten, so nach dem Motto ‹Ihr werdet schon sehen›». Das haben Kolesch und sein Team wörtlich genommen, seitdem ist man auf einem guten Weg.

Ich habe es nie gelten lassen, dass wir in der zweiten Liga mitspielen, bloss weil wir gross sind.

Horst Kolesch

Die wichtigste Aufgabe bleibt die Bewirt- schaftung in den Weinbergen. Denn hier entsteht der Wein, hier wird die Basis für die Qualität der Weine gelegt. «Wir werden die Handarbeit an den Trauben weiterhin brauchen», davon gibt er sich überzeugt. Dazu gehören daher auch die Sicherung der Arbeitskräfte, die Bereitstellung von Unterbringungsmöglichkeiten und die Qualifizierung der Mitarbeiter. Das sei ganz wichtig, egal woher sie kommen. Für landwirtschaftliche Arbeiten ist es momentan sehr schwierig, Mitarbeiter zu gewinnen, Personal dass auch bereit ist, den Einsatz zu leisten. Die Bewirtschaftung der Steilhänge ist kein Zuckerschlecken, trotz moderner Technik bleibt es am Ende eine harte physische Belastung. Kolesch zeigt sich dennoch optimistisch: «Wir haben mittlere Lagen. Wir haben kühle Lagen. Egal, wie das Klima sich verändert, wir werden vorne mit dabei sein.» Die Herausforderung der Zukunft heisst für ihn daher auch Anerkennung der Weine und der Qualitäten. «Da haben wir noch Nachholbedarf, da sind wir noch so ein Schnäppchen. Wir sind aber hoffnungsvoll, dass der VDP uns da weiterhin Leitplanken vorgibt.»

Herausforderungen der Zukunft

Womit er zu den grundsätzlichen Rahmenbedingungen kommt. Die Wahrnehmung der Bevölkerung hinsichtlich Pflanzenschutz, die gestiegene Sensibilität in Fragen der Bewirtschaftung von Wasser, die Thematik, welche Pflanzenschutzmittel noch ausgebracht werden dürfen und in welchem Umfang, diese Fragen treiben Kolesch weiterhin um. Was im Kontext des Juliusspitals eine noch grössere Aufgabe ist, wie gesagt, size matters: Ein Weingut von zehn Hektar in flachen Anbaugebieten ist sehr viel einfacher auf biologischen Anbau umzustellen als 180 Hektar in Steillagen, Flachlagen und Landschaftsschutzgebieten. Das ist ungleich komplexer und aufwändiger. «Die Art der konventionell-ökologischen Bewirtschaftung ist auf jeden Fall etwas, was nicht nur bei mir, sondern auch bei den Mitarbeitern zumindest schon mal herumschwebt. Da ist das Interesse da.» Im Juliusspital beschäftigt man sich mit dem Thema, entsprechende Versuche laufen schon seit mehreren Jahren. «Also, wir machen uns keine Sorgen und haben auch kein schlechtes Gewissen, weil wir bisher ‹nur› integriert arbeiten.» 

Im Volkacher Karthäuser und im Escherndorfer Lump ist man bereits am weitesten in der Frage der biologischen Bewirtschaftung, dort könnte man das auch relativ schnell entsprechend ausweisen. «Also wir können das schon in diesen Bereichen, aber wir können es nicht überall und wir können es nicht überall garantieren», präzisiert Kolesch. Aber die Aufgabe ist erkannt. Gerade die Bewirtschaftung in Stadtgebieten erfordert eine ganz andere Sensibilität. Dort habe man mit Menschen zu tun, die zwar die Natur haben wollen, aber mit der Natur an sich überhaupt nichts am Hut haben. Die überhaupt kein Verständnis für die Bedürfnisse der Landwirtschaft oder des Weinbaus haben und die sich am meisten freuen, wenn es wieder 35 Grad hat und schön heiss ist. Am besten noch ohne Unterbrechung, die mit Regen also überhaupt nichts anfangen können. Und schon gar nicht mit den nötigen Bewirtschaftungsmassnahmen, wie etwa dem Pflanzenschutz. Denn verständlicherweise lassen sich Staubwolken durch die durchfahrenden Maschinen nicht verhindern, wenn alternde Erde herausgefahren wird. «Wir müssen den Menschen noch ein bisschen vermitteln, was wir da tun. Unsere Weinberge, wie der Würzburger Stein, sind ja gleichzeitig so ein bisschen Naherholungsgebiet für die Bevölkerung. Da geht ja alles zusammen.» Diese stadtnahe Lage macht das ökologische Wirtschaften für das Juliusspital eben nicht wirklich leichter.

Immer wieder: Silvaner!

Das Juliusspital war schon immer ein vom Silvaner geprägtes Weingut. Und auch in den Zeiten, als die Neuausrichtung der Rebsorte gekommen war, in den 1960er und insbesondere in den 1970er Jahren, als Primärfrucht und prägende Zuckerschwänzchen en vogue waren, haben die Verantwortlichen im Juliusspital immer die Fahne des trockenen Silvaner hochgehalten. Dieser Stil wurde als ein bisschen oldschool angesehen, weil die neuen Weine eben viel fruchtiger, viel schöner, einfach frischer, saftiger und süsser waren. Und das waren die Silvaner des Juliusspitals eben nicht. Daneben gab es viele Betriebe, die auf den Riesling gesetzt haben oder auch auf den Chardonnay. Auch das war nicht wirklich ein Thema für die Traditionalisten aus der Würzburger Stadtmitte. «Das habe ich mir schon auf die Fahne geschrieben, dass ich gesagt habe, wir haben unser Profil als Silvaner-Weingut. Wenn wir jetzt mit Riesling hinterhertappen und oder auch den verschiedenen Burgundersorten, dann sind die zwar ganz okay, aber wir sind ein Silvaner-Weingut, und so wollen wir uns auch definieren, aufstellen und profilieren. Damals war es definitiv unpopulär, Silvaner zu pflanzen. Aber wir haben ihn gepflanzt und sind jetzt ganz gut dabei», sagt Kolesch mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, bis zum heutigen Tag probieren sie im Juliusspital neue Klone aus, auch in neueren Anlagen. Sie bewirtschaften sie alle, die mehr oder weniger tragenden, die aromatischeren, die säurebetonten. Denn nur so lässt sich auch in Zukunft der klassische, wirklich trockene Silvaner auf die Flasche bringen. Das Juliusspital als Lordsiegelbewahrer der reinen Silvaner-Lehre, oder? «Absolut. Also für Franken und überhaupt für das trockene Franken sehe ich uns da schon in der Verantwortung. Wir haben über 90 Prozent trockene Weine, schätze ich. Die werden zum Essen aufgemacht und dann hinterher weitergetrunken. Weil sie so bekömmlich sind.» Eben nicht so wie an der Mosel oder im Rheingau, wo man zwei Flaschen Trinkwasser dazu braucht. Das ist für Kolesch unvorstellbar. Mit seinen Ansichten hat er eben zeitlebens nicht hinterm Berg gehalten. «Ich wäre in meinem Leben wahrscheinlich noch viel weiter gekommen, wenn ich diplomatischer, einfühlsamer gewesen wäre. Aber das hilft dem Weingut überhaupt nicht weiter. In dieser Komplexität der Aufgabenstellung innerhalb des Weinguts oder auch innerhalb der Stiftung oder auch des Fränkischen Weinbauverbandes hilft nur gerade Linie.»

Den Blick voraus gerichtet

Im Rückblick auf die letzten 38 Jahre muss es für Horst Kolesch viele aussergewöhnliche Weine gegeben haben, Weine, die eine besondere Bedeutung für das Weingut und seinen Direktor hatten. «Als erste Wahl fällt mir da jetzt aber tatsächlich kein Silvaner ein, sondern der 2003er Volkacher Karthäuser Weissburgunder, der als weltbester Weisswein bei einer Veranstaltung in München ausgezeichnet wurde. Und dann noch der Julius-Echter-Berg Silvaner Grosses Gewächs als Wein und selbstverständlich der Würzburger Stein als Lage.» Das ist für ihn echter Silvaner, dieser Wein hat Tiefe und Komplexität, macht aber nicht satt. Wenn man versucht zu Riesling zu kochen, davon ist Kolesch überzeugt, ist es immer sehr viel komplizierter, als wenn man versucht, Silvaner mit Essen zu kombinieren. «Silvaner passt sich immer an, drängt sich nicht in den Vordergrund, da kommt wieder die Verwandtschaft mit dem Veltliner heraus. Beides geht einfach gut zum Essen.» Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

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