Jahrhundertkoch

Sterne sind nicht erblich

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 7. Februar 2020


FRANKREICH (Lyon) – Eine französische Ikone ist vom Sockel gestürzt: Zwei Jahre nach dem Tod von Gastronomie-Papst Paul Bocuse hat das von ihm gegründete Restaurant bei Lyon seinen dritten Stern im Michelin-Führer verloren, wie die Gastronomie-Bibel jüngst mitteilte. Das Bocuse-Restaurant hielt die höchste Auszeichnung seit 55 Jahren ohne Unterbrechung.

„Die Qualität des Etablissements bleibt hervorragend, aber nicht mehr auf dem Niveau von drei Sternen“, erklärte der einflussreiche Michelin-Verlag. In der Neuauflage des Gastro-Führers, der gerade erschien, wird das Bocuse-Restaurant nur noch mit zwei Sternen geführt – eine Premiere seit 1965.

Das Kochteam des degradierten Bocuse-Restaurants „L’Auberge du Pont de Collonges“ zeigte sich „erschüttert von dem Urteil der Testesser“. „Eines wollen wir nie verlieren: Die Seele von Monsieur Paul“, wird die Familie des Spitzenkochs, der im Januar 2018 im Alter von 91 Jahren gestorben war, in den Medien zitiert. 

Bocuse galt in Frankreich als „Jahrhundertkoch“. Der Wegbereiter der „Nouvelle Cuisine“ war international so bekannt wie kaum ein anderer französischer Gastronom. Sein Markenzeichen waren erstklassige, frische Zutaten wie Butter, Sahne und Wein, und eine meisterliche Zubereitung.

Die Kritik

Aber auch an der Feinschmecker-Bibel wurde Kritik laut: „Die Leute vom Michelin-Führer wissen nicht mehr, was gutes Essen ist“, sagte der bekannte Gastronomie-Kritiker Périco Légasse gegenüber französischen Medien. Er habe zunächst an eine Falschmeldung geglaubt, als er die Nachricht vom Entzug des dritten Sterns für das Bocuse-Restaurant gehört habe. „Die Sterne des Michelin-Führers sind nicht erblich, sie müssen verdient werden“, wird Michelin-Chef Gwendal Poullennec in den Medien zitiert. Er war persönlich nach Lyon gereist, um dem Bocuse-Team die schlechte Nachricht zu überbringen.

Tradition in Bewegung

Einige Gastronomie-Kritiker hatten bereits vor dem Tod von Bocuse bemängelt, die Küche des berühmten Restaurants werde ihrem Ruf nicht mehr gerecht. Daraufhin startete das Kochteam eine Offensive unter dem Motto „Tradition in Bewegung“ – aber ohne die Gaumen der Testesser zu überzeugen. 

Bocuse hatte sein Stammhaus in seinem Geburtsort Collonges-au-Mont d'Or am Ufer des Flusses Saône gegründet. Er lebte bis zuletzt in der darüber liegenden Wohnung. Das Spitzenrestaurant zieht auch heute noch Feinschmecker aus aller Welt an. Derzeit ist es wegen Umbauarbeiten geschlossen, die Wiedereröffnung steht kurz bevor.

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