Rotes Bordeaux

Kein Wein ist für ein Jahrhundert bestimmt

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 29. Februar 2020


FRANKREICH (Bordeaux) – In meinem Artikel „Das Erste der Ersten Gewächse“ war das Thema „Château Lafite“, fürwahr eines der herausragendsten Weingüter der Welt. Warum ein roter Bordeaux der „Premiers Cru Classé“, die Château Lafite Rothschild anführt, ein derartiges Alterungspotenzial aufweist und elegant ausreift, ist nicht exakt ergründet. Fakt ist: kein Wein ist für ein Jahrhundert bestimmt. Wenn ihm das gelingt, dann nur aus Zufall oder weil eben alles passt und das ist nicht die Regel. Ergänzend zum Thema finde ich in meinen Notizen immer wiederkehrende Fragen, vielfach mit Kollegen diskutiert, die letztlich erschöpfend zu beantworten, schwierig sind, weil eine Reihe von Faktoren eine Rolle spielen und sich dazu noch subjektive Meinungen gesellen:

Wie und warum altert ein Bordeaux?

Wir wissen, dass die allmähliche Lufteinwirkung im Laufe der Zeit die Tannine eines kräftigen Rotweins wie Lafite, der hauptsächlich aus Cabernet Sauvignon mit unterschiedlichem Anteil an Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot hergestellt wird, weicher macht. Kräftige Fruchtaromen werden geschmeidig, harmonisieren und entwickeln sich, während der Wein an Nuancen, Tiefe und Dimension gewinnt. Das ist es im Wesentlichen und es ist unwidersprochen.

Wie wirken sich die Bedingungen eines Jahrgangs auf den Bordeaux aus?

Bordeaux-Experten sagen aufgrund ihrer Erfahrungen und speziellen Kenntnissen voraus, wie sich die Weine im Laufe der Zeit entwickeln werden. Solche Vorhersagen sind bei den jährlichen En-Primeurs in Bordeaux regelmäßig das große Diskussionsthema unter den Verkostern. Sie treffen dann die ersten allgemeinen Einschätzungen über die Qualität eines bestimmten Jahrgangs. Aber das ist oftmals Ansichts- und Geschmacksache. Und die Vorhersagen stimmen nicht immer. Auch wenn der Vegetationszyklus eines Jahrgangs im Wesentlichen perfekt war, bedeutet dies nicht unbedingt, dass sich gerade dieser Jahrgangs-Bordeaux herausragend entwickelt.

Weist ein Bordeaux konsistente Eigenschaften auf, die über die Schwankungen eines Jahrgangs hinausgehen?

Diese Frage ließe sich, auch wenn man es versuchen möchte, nur schwer beantworten oder beweisen. Auch bei durchschnittlichen oder sogar bei unterdurchschnittlichen Jahrgängen kann ein Bordeaux eine gute bis sehr gute Qualität haben. Wenn man wüsste, warum dies so ist, besser gesagt, wenn konsistente Eigenschaften analysiert wären, es dafür eine Formel gäbe, würden die Winzer dies nutzen wollen, sofern es rechtlich erlaubt wäre. Aber ja, es gibt eine Rebsortentypizität und ja, es gibt die typischen Methoden der Bordeaux-Vinifikation, auch bestimmte Cuvées-Variationen, die Schwankungen ausgleichen können. Letztlich ist Wein aber ein Naturprodukt und das sollte so bleiben.

Woraus zieht ein Bordeaux seinen Charakter?

Gegenfrage: Ist es eine Frage der Natur, der Lage, der Geologie, also des Habitats der kultivierten Reben – dem sogenannten Terroir? Ja, sagen die einen. Andere schwören eher auf bestimmte Rebklone, Feinheiten einer sorgfältigen Weinbergspflege sowie Vinifikation und verweisen zuweilen auch auf die „Handschrift“ des Winzers oder Oenologen. Es wird wohl eine Kombination aus allem sein, mal abgesehen davon, dass Antworten hierzu letztlich auch subjektiv angehaucht wären.

Sind Bordeaux nur was für Sammler?

Absolut nein. Allerdings – wenn es sich um die Erstweine der fünf „Premiers Cru Classé“ handelt, die dann einem besonderen oder einem Jahrhundertjahrgang zugeordnet sind, steigen die Preise und folglich gibt es einen sehr speziellen Markt, der von einer stetigen Nachfrage geprägt ist. Solche herausragenden Bordeaux gehören zweifellos zu den Weinen mit sehr langer Lebensdauer und eignen sich daher bestens für spannende vertikale Verkostungen über Jahrzehnte, zumal Bordeaux eine der wenigen Weinregionen ist, in denen die Produzenten traditionell Bibliotheken mit alten Jahrgängen führen. Für Sammler stehen Weine der fünf Premier Cru an erster Stelle. Ohne Frage sind Top-Bordeaux auch ein Anlageprojekt für Spekulanten. Viele begehrte Bordeaux lagern in Kellern finanzstarker Unternehmer und Sammler, selten kommen einzelne Gebinde zur Versteigerung, noch seltener sind Vertikalen enthusiastischer Weinfreaks auf Auktionen zu erwerben.

Das soll aber nicht heißen, dass nur Betuchte sich dem Bordeaux nähern können. Es gibt so viele Güter im Bordelais, die hervorragende Rote im Programm haben und die auch noch zu erschwinglichen Preisen. 

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