Rosé XXL

AOP Tavel

Tavel ist einer der ältesten Ursprungsweine der Welt. Als aufgrund seiner Beliebtheit auch mindere Weine aus der weiteren Umgebung als Tavel gehandelt wurden, stellten die geschädigten Winzer schon Anfang des 18. Jahrhunderts einen Antrag auf Herkunftsschutz. Offiziell wird Tavel als Rosé gehandelt. In Tat und Wahrheit ist er alles andere. 

Ich gebe gerne zu: Wenn es um Tavel geht, bin ich nicht eben objektiv (Bin ich das je?). Tavel ist ein Heimspiel. Vor zehn Jahren habe ich ein Buch über Tavel verfasst und einen Monat dort verbracht. Ich bin dem Dorf, seinen Winzern und seinen im wörtlichen Sinn einmaligen Weinen rettungslos verfallen. Tavel ist in mancher Hinsicht ein ganz besonderer Flecken, ein Ort mit langer Weinbautradition. Gemeinsam mit Cassis, Châteauneuf-du-Pape und Arbois gehört es seit 1936 ganz offiziell zu den vier ältesten AOC-Gebieten der Welt. Doch einen ersten Antrag für Ursprungsschutz stellte die Gemeinde bereits 1716.

Ganz besondere Böden mal drei

Wer sich von Avignon her kommend mühsam durch die Staus auf den Zubringerstrassen quält, stellt einmal im Dorf angekommen mit einigem Erstaunen fest, dass die Hektik vor der Ortsgrenze haltzumachen scheint, dass er sich urplötzlich am Ende der Welt wiederfindet. Das Erste, was ein Besucher dann tun sollte, ist, den Rückwärtsgang einzulegen, um den Weingärten einen Besuch abzustatten. Dazu fährt er zum Beispiel über die D 976 Richtung Château d’Aqueria und nimmt kurz vor dem Gut die Sandböden unter die Lupe.

Am besten lässt er etwas groben, gelben Sand durch die Hände rieseln. Nichts bleibt an der Haut kleben, denn der Sand ist arm an organischer Materie. Selbst nach einem Gewitter bleibt er geschmeidig und hat kein Problem damit, Wasser abzuführen. Damit die Rebe nicht unter der Trockenheit leidet, bohrt sie ihre Wurzeln durch die etwa 30 Zentimeter dicke Sandschicht und durch weitere 30 Zentimeter magere Lehmrückstände tief in den Untergrund aus zu Fels gepresstem Sand und Kalk. Dieser ziemlich rare Bodentyp fördert gemächliche Traubenreife und führt zu besonders finessenreichen, eleganten Basisweinen. Ihm verdankt Tavel seinen historischen Erfolg. Der zweite Bodentyp ist auf der anderen Strassenseite zu bewundern, etwa bei Château de Manissy: grobes Geröll, wie es auch für Châteauneuf-du-Pape charakteristisch ist. Die steinigen Halden der Flur Vallonge wurden erst ab dem 19. Jahrhundert bepflanzt. Hier geraten die Grundweine vollmundig, reichhaltig und kräftig.

«Tavel verdankt seinen Legendenstatus drei einzigartigen kargen Böden: grobes Geröll, Kalksplitter und grober Sand.»

Guillaume Demoulin

Wer das Dorf durchquert und Richtung Valliguières fährt, macht den dritten Terroirtyp ausfindig: extrem steinige und schwer zu bestellende Böden aus Kalksplittern, die Mineralität, Finesse und Rasse der Grundweine fördern. Ein Tavel ist fast immer eine Assemblage von Grundweinen dieser drei Terroirs. Tavel wird zu den Rosés geschlagen: In Wirklichkeit handelt es sich um einen so vollmundigen wie eleganten, meist himbeerfarben oder rubinrosa schimmernden Urwein, der mit  zunehmender Reife kupfrige Reflexe entwickelt

Ja, er kann und darf reifen, sogar verblüffend lange. Tavel ist die letzte Reminiszenz an eine Zeit, in der alle Rotweine diese Farbe hatten, als Brillanz und Transparenz Zeichen für Grösse waren, bevor französische Winzer Spanien nachahmten und in Bordeaux der dunkelfarbige «New French Claret» erfunden wurde. Tavel ist nie auf diesen Zug aufgesprungen, weil hier bis heute die alte Regel gilt: «Ein Wein, durch den man nicht Zeitung lesen kann, hat etwas zu verbergen.»

Weinrecht kennt nur drei Weinfarben – Weiss, Rot und Rosé. Doch mit «gewöhnlichem» Rosé hat Tavel wenig gemein. Seine Stärke liegt nicht in Gefälligkeit und Blumigkeit, sondern in Vollmundigkeit, Komplexität und Kraft. «Tavel feiert heute seine Renaissance als echter, eigenständiger, handwerklich hergestellter Terroir-Wein, der ideal zu moderner Weltküche passt, in der Weinbar, im Bistro, im gehobenen chinesischen oder japanischen Restaurant», sagt begeistert Guillaume Demoulin, stellvertretender Vorsitzender des Winzerrates. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Empfehlenswerte Betriebe? Alle. Es gibt keine schlechten Tavel, nur über drei Dutzend spannende Varianten.