Wein & Karriere: Wein Heimat Württemberg 1/2023
Die schönste Hauptsache der Welt
Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Jana Kay
Im Weinbau groß geworden sind alle drei. Ihre Wege in die Weinbranche könnten unterschiedlicher nicht sein. Doch einen gemeinsamen Nenner haben die drei Württemberger auf jeden Fall: Dass es etwas Schöneres geben könnte, als mit dem Produkt Wein zu arbeiten, ist für sie unvorstellbar.
Anja Off
Die Grenzenlose, Nebenerwerbswinzerin, 30
Die Welt betrachtet Anja Off am liebsten aus der Vogelperspektive. Zum Beispiel beim Paragliding über den Dolomiten. «Da oben hat man einen grenzenlosen Überblick. Inspirierend auch für den Job.» Dass die 30-Jährige eigene Grenzen erfolgreich sprengt, zeigt ihre Vita: Neben dem Bewirtschaften von 0,5 Hektar Trollinger in der Lage Lämmler und ihrer Mitgliedschaft bei der Fellbacher «Next Generation» hat sie ihr anderes Standbein im Personal-Management. Die Fachbereichsleiterin trägt beim Landratsamt Rems-Murr-Kreis Mitverantwortung für über 1800 Beschäftigte, stellt ein, überblickt Budgets und Marketing. Ob sie denn auch die Jungwinzergruppe mit 16 Mitgliedern fest im Griff habe? «Wir sind alle gleichgestellt», lacht sie, «aber ich bringe mein Know-how zum Beispiel ins Social-Media-Marketing gern ein.»
Nicht nur mental agiert die Winzertochter in verschiedenen Welten, indem sie zwischen Weinberg und Büro pendelt. Auch physisch überquert Anja Grenzen. In Shanghai und Chengdu machte sie chinesischen Weinliebhabern Lemberger aus dem Ländle schmackhaft. Die Wahl zur württembergischen Weinprinzessin führte die Fellbacherin 2018 in den fernen Osten, wo sie ihre Weinbauregion repräsentierte. «Da herrscht eine unfassbare Riesling-Euphorie. Die Kombinationen von Dim-Sum oder Pekingente mit unseren leichten Lembergern sind durch die Decke geschossen», sagt sie rückblickend. Reisen bedeutet für die Jungwinzerin eine Erweiterung des Horizonts. In Portugal, Sizilien, an der Mosel und im Rheingau besuchte sie Weingüter, lernte Portwein zu schätzen oder die verschiedenen Riesling-Stile kennen: «Es ist furchtbar eindimensional, nur die eigenen Weine im Blick zu haben.»
VITA
Seit über 500 Jahren macht ihre Familie Wein in den Lagen im Remstal. Anja Off liebt es, sich im Frühjahr um die Triebe ihres Trollingers zu kümmern und im Herbst zu ernten. Genauso gern leistet sie Kopfarbeit. Sie hat dreieinhalb Jahre Public Management in Ludwigsburg studiert und hängt gerade Human Ressource Management an einer Fern-Uni dran. Als Mitglied der «Next Generation» experimentiert sie mit neuen Weinstilen – etwa Orange Wine aus Grauburgunder – und bei den Fellbacher Weingärtnern gibt die Weinprobensprecherin ihren Enthusiasmus für württembergische Gewächse weiter. Anjas persönlicher Favorit im Glas ist der Lemberger.
Christina Kircher
Die Triebwerkerin, Weinbautechnikerin, 26
Spannendes mit noch Spannenderem zu verbinden, liegt in Christina Kirchers DNA. In Adelaide, der Wiege des südaustralischen Weinbaus, packte die 26-Jährige nach ihrer Ausbildung zur Weinbau-Technikerin mit an. Die Kooperative in McLaren Vale verschaffte «Chrissi» einen Einblick in Neue-Welt-Weine. Zwischen Adelaide Hills und den Stränden am St. Vincent Golf half sie in der Kellerei bei der Vinifikation von Syrah und Sauvignon Blanc. Aber: «Wenn man schon auf der südlichen Welthalbkugel ist, sollte man alles mitnehmen, was geht», schmunzelt die Weinsbergerin, die vor dem Praktikum erstmal die schönsten Küstenspots in Down Under mit dem Wohnmobil ansteuerte.
Mut und kaufmännischen Esprit investiert Christina Kircher zurzeit in ihre württembergische Weinheimat: Das Projekt heißt «Burgblick» und wird Mitte des Jahres als gastronomisches Baby mit rund 70 Sitzplätzen in Weinsberg aus der Taufe gehoben. Von der Terrasse und durch die Panoramafenster in der Stube blickt man auf die Burgruine Weibertreu. «Mein Weinlokal soll weinaffine Foodies ansprechen», sagt sie. Geplant sind neben «Schpätzle» und «Soidawürschtle» angesagte Leckereien wie vegetarische Maultaschen. Und ausgefallene Weine wie der Sauvitage, ein Piwi von der Genossenschaftskellerei Heilbronn. Diese beliefert Winzerfamilie Kircher schon in dritter Generation mit Traubengut. Apropos «Generation»: Dafür, dass der Nachwuchs am Ball bleibt, sorgt Christina als Co-Leiterin der Jungwinzer-Initiative «Triebwerk». «Wir bündeln die Ideen des Teams und machen Großartiges draus.» Etwa neue Weinstile in Form des lachsfarbenen Schillerweins aus Merlot, Sauvignon Blanc und Cabernet Sauvignon. Mit knackiger Säure und animierender Frucht: «Perfekt für die Grillsaison.»
VITA
Nach der Mittleren Reife wusste die heute 26-Jährige partout nicht, was sie werden wollte. Ein Praktikumsabstecher ins Hotelfach zeigte Christina zunächst, was sie nicht werden wollte: «Housekeeping ist nicht meine Sache.» Der Weg zur staatlich geprüften Technikerin für Weinbau & Önologie erwies sich als der richtigere. Auf eine Winzer-Ausbildung beim Weingut Albrecht-Kiessling und in der LVWO Weinsberg folgte die Weiterbildung. Neben dem Winzern und dem Ideenfinden mit den «Triebwerkern» führt Christina ab diesem Sommer eine Besenwirtschaft mit Veggie-Gerichten und Schmankerln aus dem Ländle. Sie selbst bezeichnet sich als «Burgundertyp» – in Weiß, Grau und Rot.