Die Quintessenz eines grossen Pauillac

Vertikale: Pichon Baron (2009 - 2016)

Text: Rolf Bichsel

Pichon Baron gehört zu den grössten Weinen der Welt. Generaldirektor Christian Seely (linke Seite) weiss auch warum: Das 1855 zweitklassierte Gut besitzt erstklassige Böden aus tiefgründigem Kies auf einem Plateau im Herzen von Pauillac.

Eine Vertikale dient nicht dazu, festzustellen, welcher Jahrgang am besten ausfällt, sondern dazu, herauszufinden, wie sich ein Wein am jeweiligen Jahrgang ausrichtet. «Pichon Baron, das ist die gleichsam transzendente Verbindung von Kraft und Eleganz», sagt Christian Seely. «Diesen Grundcharakter zeigen alle Jahrgänge. Am Anfang steht das Plateau von tiefgründigem Kies, auf dem unsere alten Cabernet-Sauvignon-Reben reifen und Weine von besonderem Schliff und exquisiter Finesse ergeben.»

Zur Freude des Guts stellt Pichon Baron geradezu die Quintessenz des grossen Pauillac dar, er besitzt die Eleganz eines Lafite, die Fülle eines Mouton und die Rasse eines Latour. Er verrät schon «en primeur» Exzellenz und Harmonie, reift ewig, entwickelt besondere aromatische Komplexität und gerät auch in so genannt kleineren Jahrgängen hervorragend. Es gibt in den letzten 30 Jahren nicht einen Pichon-Jahrgang, der nicht zu empfehlen wäre.

Dafür, dass Baron sich dennoch stetig weiterentwickelt, sorgt Weinmacher Jean-René Matignon, der seit 1986 auf Pichon tätig ist. «Jean-René hat eine ganz besondere Qualität: Er kennt das Terroir von Pichon wie seine Hosentasche, doch er ordnet sich diesem immer unter. Mit dem Erreichten ist er nie ganz zufrieden und sucht sich folglich Jahr für Jahr noch zu verbessern. Doch nie will er den Terroirausdruck domptieren. Er will ihn höchstens noch reiner, noch unverfälschter auf die Flasche bringen.» Wie gut ihm dies gelungen ist, illustrieren die Verkostungsnotizen zu sechs Jahren auf der gegenüberliegenden Seite.


2009

Die Jahre 2009 und 2010 haben beide grossartige Weine ergeben. Doch im Gegensatz zum recht erratischen 2010er wirkte der 2009er schon als Jungwein sehr zugänglich. Er besitzt bis heute exquisite Fruchtigkeit und fröhliche Fülle sowie ein Tannin aus Samt und Seide. Wird noch lange Freude bereiten.

2010

Christian Seely hat lange gezögert, diesen sehr unnahbar wirkenden Jahrgang bei Tisch zu entkorken. Erst seit etwa zwei Jahren öffnet sich der 2010er nach und nach. Die vorherrschende Trockenheit führte zu kleineren Beeren als 2009. Der Wein wirkt trotz seiner Fülle deutlich durch die Struktur geprägt und zeigt grosse Rasse. In einigen Jahren dürfte er den 2009er noch übertreffen.

2012

Das Jahr illustriert noch mehr als 2014, wie gut auf Pichon Baron auch weniger hoch bewertete Jahrgänge geraten. Der 2012er besitzt bis heute einen besonders präzisen, aromatischen Ausdruck und beeindruckende Subtilität, Harmonie und Finesse. Jetzt vollendet und damit der Wein, der aktuell das Warten auf die gemütlicher reifenden Jahrgänge des Deuxième Cru aus Pauillac versüsst.

2014

Besitzt im Vergleich zum 2012er mehr Fleisch, doch weniger Fülle als der 2015er. Er repräsentiert den Stil von Pichon Baron auf besonders eindeutige Art und Weise und ist das Resultat eines eher kühlen Sommers sowie eines ewig warmen und trockenen Herbstes und damit einer optimalen Traubenreife. Seine Frische und Eleganz wird er auch in den nächsten Jahren nicht verlieren.

2015

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger profitierten seine Trauben vom heissen und trockenen Sommer und wurden früher eingebracht. Verglichen mit dem 2014er wirkt der 2015er geradezu überschwänglich vollmundig und grosszügig, mit verführerischen Noten reifer Beeren. Darf noch vier, fünf Jahre ruhen und wird zwei Jahrzehnte halten.

2016

Zeigt dank eines witterungsmässig geradezu ideal verlaufenen Weinjahres trotz seiner Jugend besondere Frische, Tiefe und Rasse sowie grösste Harmonie. Die Qualität der Tannine ist einmalig. Gehört zusammen mit dem 2010er zu den beeindruckendsten Weinen der Verkostung und kann ewig reifen.