Klartext von Miguel Zamorano

Grauburgunder ist wie Phil Collins

Text: Miguel Zamorano

Verschmäht und verrissen: Grauburgunder gefällt dem breiten Weinpublikum, doch vielen Weinkritikern ist diese Sorte zu einfach, zu langweilig, zu zuckerhaltig. Dabei dürfte die Sorte, die fröhlich in Deutschland, im Veneto und in Südtirol vor sich hin gedeiht, nicht selten grundsätzlich missverstanden werden.

Der Weinfachhandel in Deutschland liebt deutschen Wein über alles. Wie im «Wine Trade Monitor» der Sopexa Agentur jüngst zu lesen war, rücken besonders Weiss- und Schaumweine aus deutschen Landen in den Fokus der Verkäufer; die Regionen Rheinhessen, Pfalz und Baden würden in diesen Kategorien am meisten punkten. Ein besonderes Augenmerk richtete der Bericht auch auf die Rebsorten, die auch künftig im deutschen Fachhandel die Regale dominieren dürften: Grauburgunder, gefolgt vom deutschen Platzhirsch Riesling und vom nicht so deutschen Primitivo.

Dass die Nachfrage für Grauburgunder ungebrochen gross ist, dürfte keine Neuigkeit sein. Seit den 2000er Jahren ist die Fläche für diese Sorte stets gewachsen, heute kultivieren die Winzer laut Deutschem Weininstitut über 7000 Hektar damit, gut sieben Prozent des Weinbergs in Deutschland. Platz drei hinter Riesling und Müller-Thurgau. Schreitet man indes durch viele Weinabteilungen des gut sortierten Lebensmitteleinzelhandels, bestätigt sich der Eindruck der oberen Branchenmeldung: Grauburgunder steht auf Platz 1 und nicht Riesling.

Wie kann das sein? Eine Rebsorte, die wegen ihrer schlichten Struktur, ihrer prononciert seichten Fruchtigkeit und einem oft etwas molligen Körper ganze Generationen verführt, da kann es doch nicht mit rechten Dingen zugehen. So denken vielleicht zahlreiche Weinkritiker. Das Publikum sieht es wie gewohnt anders. Und kauft diesen Weisswein fröhlich in allen Formaten und rauen Mengen.

Der Phil-Collins-Vergleich

Vielleicht kann man sich dem Phänomen Grauburgunder aus einer anderen Richtung nähern. Verbirgt sich hinter dieser beliebten Sorte nicht etwa das gleiche Phänomen, das man den «Phil-Collins-Faktor» nennen darf?

Phil Collins macht eingängige Musik, die man, einmal gehört, nicht mehr so leicht vergisst. Nicht nur weil sie in den Charts rauf und runter gespielt wird. Anders als bei anderen Musikkünstlern, die uns seit Jahrzehnten quälen, äh, begleiten, versteht ein 15-Jähriger auch heute noch das Album «... But Seriously» ohne Probleme. Mit seiner Musik verkauft Phil Collins so viele Platten, wie Winzer aus Baden und aus dem Veneto Grauburgunder oder Pinot Grigio zusammen verkaufen. Collins’ Fans lieben ihn so sehr, dass sie ihm auch ein noch so schräges Album wie «Going Back» verzeihen, das die Kritiker wiederum gnadenlos verrissen haben. Von der «Neuen Zürcher Zeitung» einmal darauf angesprochen, antwortete Collins: «Sorry, dass ich so erfolgreich bin.»

Gewiss, auch einer wie Phil Collins erhält nicht alle gewünschte Anerkennung; auch er muss sich manchmal Unerhörtes gefallen lassen. Als Collins Paul McCartney einst um ein Autogramm bat, verhöhnte der alte Beatle den jüngeren Collins deswegen. Vermutlich so wie alte Riesling-Trinker sich über ihre Grauburgunder liebenden Kinder lustig machen. Collins dürfte sich damit trösten, dass er, anders als McCartney, mehr als 40 Jahre lang erfolgreich musiziert, im Zweifel auch ohne die Band, mit der er Ansehen und Ruhm erlangte.

Mittlerweile muss Collins sitzen, der Rücken macht das ganze «Dancing into the Light» nicht mehr mit. Doch auch so hat er keine Probleme, die Stadien zu füllen, wie die jüngste Tournee mit seiner einstigen Formation Genesis zeigt. So was macht Collins vermutlich nur eine Helene Fischer nach, die 2017 an fünf Abenden (!) hintereinander im ausverkauften Zürcher Hallenstadion auftrat.

Ein wahrlich grosser Wein

Und mit welcher Rebsorte ist nun Helene Fischer vergleichbar? Egal. Echten Genussprofis ist nicht entgangen, dass die Sorte Grauburgunder, wenn man sie mit Liebe und Obhut bearbeitet, sehr spannende und charaktervolle Weine hervorbringt. Vielleicht nicht in der Einstiegsklasse, wohl aber in einem Bereich, in dem jeder, der Wein liebt, Zugang hat, wenn er denn neue Weinpfade betreten will. Warum nicht mal ein Grosses Gewächs von Franz Keller vom Achkarrer Berg für 35 Euro ab Hof? Der 2019er Jahrgang tummelt sich im «Weinguide Deutschland 2022» unter den besten weissen Burgundersorten Deutschlands. Vermutlich meinen die Fachhändler nicht so einen Grauburgunder, wenn sie diese Sorte in ihren Regalen sehen wollen, aber auch dieser Wein profitiert ganz sicher vom Phil-Collins-Faktor.

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