Beppe Colla

Meilensteine eines Visionärs und Pioniers (Teil-1)

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 31. Januar 2019


ITALIEN (Alba) – Eines seiner letzten Gespräche über sein Lebenswerk, die Cesare Pillon mit seinem im Januar verstorbenen Freund und Protagonisten der Langhe, Beppe Colla, im Beisein von Journalisten führte, ist ein Spiegel der Auferstehung der Langhe (piemontesisch: Langa), einer norditalienischen (Wein)-Landschaft im Piemont, in Sachen Wein und Küche. Die nach Süden hin zunehmend hügelige Landschaft erstreckt sich von der oberen Poebene bei Turin bis zu den ligurischen Alpen. Pillon und Colla sind Kinder dieser Region und reflektieren ihre Heimat wie kaum jemand anders. Die Langhe hat Beppe Colla, der 88 Jahre alt wurde, viel zu verdanken – bezüglich Weinbereitung und Gastronomie. Meinen Nachruf auf Beppe Colla lesen Sie hier:  "Barolo-Patriarch Beppe Colla verstorben".

Cesare Pillon, der das Interview führte, war einst Vollblutjournalist. Er wurde 1931 in Turin geboren – im gleichen Jahr wie Beppe Colla. Es war eines der großen Jahre für den Barolo. Cesare hat Wein in seiner DNA, aber er hat das erst spät gemerkt – Ende der 70er Jahre, seitdem hat er sich mit nichts anderem beschäftigt als mit Wein.

WENIGER IST MEHR

Wir sind alte Männer – uns kann man zugutehalten, dass wir viel Erfahrung in unserem langen Leben gesammelt haben. Lasse uns mal über deine beiden herausragenden Leistungen für die Region Langhe sprechen. Beppe, du hast den Weinbau, vor allem den Barolo und gleichzeitig die Küche hier bei uns geprägt wie kein Anderer. Womit fangen wir an.

Mit dem Weinbau, würde ich sagen.

Gut, wo starten wir?

Im Weinjahr 1981 gab es eine Rekordernte, aber die Qualität war schlecht, also sprach ich mit Dario Rocca aus Barbaresco, der mein Traubenlieferant war und sagte: 'Lass uns versuchen, die Reben dieses Jahr auszulichten'. Ich sagte ihm, er solle fünf Reihen wählen und dass ich mit dem jungen Önologen, der damals mit mir bei Prunotto arbeitete, dorthin gehen würde, um sie auszulichten, dann würden wir sehen was passiert. 

Wie reagierte Dario?

Dario war ein intelligenter Mann, er stimmte mir zu, wenn auch widerstrebend. Und dann tat ich, was ich ihm vorgeschlagen hatte. Die folgende Ernte war unterdurchschnittlich, aber die Trauben aus diesen fünf Reihen waren das Beste, was der Barbaresco in diesem Jahr in unserer Gegend bot.

Was sagte Dario dazu?

Ich weiss es noch heute. Ich traf ihn, er hatte seine Söhne dabei, und er sagte: 'Wie dumm von mir. Beppe hat mir in den letzten 10 Jahren immer wieder gesagt, ich solle die Reihen ausdünnen, und ich habe nie auf ihn gehört'.

INITIALZÜNDUNG BURGUND

Du warst aber schon viel früher ein Vorreiter für den hiesigen Weinbau. Wann fing das an?

Mein Weinverständnis begann nicht hier, sondern Anfang der 1960er Jahre in Burgund. Ich war befreundet mit Bersano aus Nizza Monferrato. Er war eine sehr scharfsinnige, intelligente und kultivierte Person. Er war kein Önologe. Manchmal rief er mich an, um mich um Rat zu fragen. Damals gab es keine Berater so wie heute. Man rief bei Problemen einfach einen Freund an. Eines Tages meldete er sich bei mir und meinte: 'Ich habe für den Lions Club eine Reise ins Burgund organisiert, wir werden eine Woche dort bleiben, willst du mitkommen?'

Was hast du ihm geantwortet?

Nun ich wusste nichts über dieses Gebiet und auch nicht, was Bersano so geplant hatte. Ich habe zugestimmt, weil ich ihm vertraut habe. Es wurde eine ungewöhnlich intensive Weinreise. Bersano brachte uns an die richtigen Orte. Mir wurde auf der Reise klar, dass wir hier in der Langhe nichts über Wein wussten. Als ich nach Hause kam, sagte ich mir: 'Lasst uns alles vergessen und von vorne anfangen.'

Das war dann zu der Zeit, als du Mitglied der Kommission wurdest, die das Gesetz über die kontrollierte Ursprungsbezeichnung für Weine der Region Alba vorschlug?

Ja, richtig! Wenn man etwas tut, das notgedrungen zu einem Kompromiss führt, dann sind die Ergebnisse zwangsläufig begrenzt. Als wir uns an die Arbeit machten, begannen wir wirklich von vorne.

Fortan hast du alles von Grund auf neu geschaffen und hast sogar Studien berücksichtigt, die während der faschistischen Ära erhoben wurden.

Ja, ich habe einfach alles, was ich greifen und lesen konnte, ins Kalkül gezogen. Doch leider haben die Weinbauern unserem Projekt nicht vertraut.

Hast du ein Beispiel?

Ich kontaktiere Maria, um ihr vorzuschlagen, sich als Barolo-Produzent registrieren zu lassen. Sie schickte mich fast unhöflich weg und sagte mir zum Abschied, dass ihr Problem darin bestände, dass sie nicht genug Trauben habe, um die Nachfrage zu decken. Ich verliess sie mit den Worten: 'Es wird dir noch leid tun'. Sie hatte einfach die falsche Entscheidung getroffen.

Ist ihr das in der Folge klar geworden?

Nein, nicht ihr, denn sie starb kurz darauf. Als dann ihre Tochter die Leitung des Weingutes übernahm, wurde ihr sofort klar, dass ihre Mutter eine folgenschwere Fehlentscheidung getroffen hatte. Sie kam zu mir und ich sagte ihr ganz offen, dass ihre Mutter sich völlig geirrt habe und eine unwiederholbare Gelegenheit verpasst hätte.

Wie tragisch.

Ja, denn die Tochter wollte ihr Gut unbedingt als Barolo-Produzent registrieren lassen. Ich versprach ihr zu helfen, sie in ihrem Antrag zu unterstützen.

Warum hast du gerade Maria angesprochen und warum wolltest du ihrer Tochter helfen?

Nun, noch vor der Gründung der Bezeichnung habe ich zuweilen Nebbiolo-Trauben von Maria gekauft, um Barolo herzustellen. Ich wusste daher um die Qualität ihrer Trauben, die aus Lagen stammten, die es verdient hätten, die Bezeichnung zu tragen. Aber unser Streben, Erzeuger als Barolo-Produzenten registrieren zu lassen, durfte nicht verwässert werden, sonst hätten viel zu viele diesen Antrag gestellt, was unannehmbar gewesen wäre. Es ist wie mit einem Damm, sobald ein Spalt entsteht, kann das Ganze zusammenbrechen.

Wie ging es weiter mit der Bezeichnung?

Zunächst einmal war es der erste Versuch, eine Zone als Ursprungsgebiet zu definieren, als wir an einem Tisch sassen, um die Konfessionen zu erarbeiten und Regeln zu erstellen. Die Grundfrage war: Welches Gebiet ist schützenswert? Wo beginnt und endet es? Es muss irgendwo anfangen und es muss irgendwo enden, aber wo?

BASIS MAZERATION

Wenden wir uns Deinen Anfängen zu. Du hast bald nach dem Zweiten Weltkrieg deine Weinkarriere gestartet. Wie war das damals?

Als ich in 1949 erstmals verantwortlich Wein herstellte, stellte ich fest, dass eine kürzere Mazerationszeit für den Nebbiolo einen besseren Barolo ergab.

Wie hast du das festgestellt?

Ich ging von der Beobachtung aus, dass es zwei Faktoren gibt, die einen Rotwein unangenehm machen können – zu viel Säure und zu viel Tannin. Das Problem mit Barolo war damals nicht ein übermässiger Säuregehalt, sondern Tannin. Und da Tannin für die Langlebigkeit eines Weins verantwortlich gemacht wurde, wurden zu Beginn meines Wirkens sehr lange Mazerationszeiten angewandt, um das Tannin in den Wein zu bringen, um ihm somit eine lange Lebensdauer zu schenken. 

Hattest du einen Bezug?

Ja. Ohne Namen zu nennen, haben viele französische Weine einen sehr niedrigen Tanningehalt, sind aber sehr langlebig. Das Problem ist also nicht das Tannin, sondern die Struktur des Weins, der Polyphenole und viele andere Faktoren. Also dachte ich, wobei ich mir nicht sicher war, dass wir, um Barolo besser zu machen, die Mostmazeration reduzieren müssten. Aber es dauerte lange, bis ich meinen damaligen Arbeitgeber – ich war bei Bonnardi – davon überzeugt habe, dies testen zu können.

Wie war die Situation damals?

Damals – ich spreche von 1949 – haben wir etwa 100.000 Liter Barolo pro Jahr hergestellt. So war das, als ich um die Erlaubnis bat, 5.000 Liter so zu produzieren, wie ich es wollte. Ich argumentierte, dass es bei einem negativen Ergebnis keine Katastrophe wäre, wenn wir 5.000 von 100.000 Litern entsorgen müssten. Mein Arbeitgeber gab nach und liess mich machen.

Und das Ergebnis?

Das Ergebnis war ausgezeichnet und nach diesem praktischen Beweis, dass das System funktionierte, wurde es fortgesetzt. Später entdeckten wir dann, dass ein anderer Hersteller dieses Experiment vor mir durchgeführt hatte, aber da er es als sein Geheimnis ansah, verriet niemand aus seiner Familie etwas – nicht einmal seine Mitarbeiter, wahrscheinlich aus Loyalität. In der Tat galt der Barolo dieses Herstellers damals als der Beste, denn er wurde mittels einer kürzeren Maischezeit produziert.

Und dann habt Ihr die Methode generell angewendet?

Ja, eine ganze Zeit lang. Ich habe so viele Barolo produziert. Es war eine Möglichkeit, den Barolo sofort trinkfähig zu machen.


Im zweiten Teil spricht Beppe Colla über den Dolcetto und Nebbiolata, wir erfahren mehr über die  Zuckerung von Weinen und vor allem über den Konzentrator, den unser Protagonist gemeinsam mit Ingenieuren entwickelte und zum Einsatz brachte. Nebenbei küsste Beppe Colla die Küche der Langhe und brachte diese zum Erwachen ...

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