Beppe Colla

Meilensteine eines Visionärs und Pioniers (Teil-2)

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 1. Februar 2019


ITALIEN (Alba) – Im ersten Teil des Interviews erzählt der kürzlich verstorbene Beppe Colla von seinen Methoden in der Weinbereitung und einer für Ihn nie erwarteten Erfahrung, die er eher durch Zufall im Burgund machte. Hier nachzulesen: 'Meilensteine eines Visionärs und Pioniers (Teil-1)'.

Beppe Colla war Manns genug, um sich einzugestehen, dass er bis zu seiner Reise ins Burgund zwar nicht alles falsch gemacht hat, aber dennoch längst nicht das Geheimnis der Weinbereitung ergründet hatte. Die Erkenntnis, die ihm kam und seine Beharrlichkeit danken ihm heute alle Barolo-Fans und eine ganze Weinregion. Das Interview führte Cesare Pillon, Vollblutjournalist, langjähriger Freund und Wegbegleiter von Beppe Colla, im Beisein von Journalisten.

DOLCETTO & NEBBIOLATA

Aber es ging nicht nur um den Barolo?

Korrekt. Wir nutzten den Trester des Barolo, sofern er nicht ausgelaugt war, für den Dolcetto. Der Dolcetto, der von Natur aus ein Wein ist, der jung getrunken werden soll, liessen wir über den Trester des Barolo laufen, der praktisch als eine Art Filter fungierte. Der Dolcetto wurde so hell und klar, bekam aber bei diesem Procedere animalische Aromen mit. Das gefiel mir garnicht.

Warum habt Ihr das dann gemacht?

Weil damals die Maxime galt: alles, was an Nebbiolo erinnert, als das Beste angesehen wurde. Man kann es auch daran erkennen, dass der Dolcetto, der so mit dem Barolo in Berührung kam, fortan den Namen Barolino trug, weil er theoretisch verbessert wurde, obwohl er nicht so gut war, wie der einfache Barolo.

Und was war Barbera Nebbiolata?

Durch die Zugabe von zehn bis zu 15 Prozent Nebbiolo wurde der Barbera prestigeträchtiger, weil der Barbera eine Nebbiolo-Note aufnahm, die allgemein als Verbesserung betrachtetet wurde, wobei heutzutage die Single-Traube Vorrang hat. Jedoch verschwand der Barbera Nebbiolata im Laufe der Zeit, weil es sich um einen Wein handelte, dem es an Identität fehlte, nicht weil es schwierig war, ihn herzustellen – im Gegenteil. 

Was war so leicht daran, ihn zu produzieren?

Nun, alles was man tun musste war, den Nebbiolo zum Barbera hinzuzufügen, das war’s. Daraus wurde ein Wein, der sogar zu einem höheren Preis verkauft werden konnte.

ZUCKER? JA UND NEIN!

Wie war das mit der Zuckerung?

Sofern es erlaubt ist, wenn die Trauben ein Grad zu wenig Zucker haben, was ein halbes Grad weniger Alkohol bedeutet, hielt ich es damals und halte ich das auch heute für in Ordnung, Zucker beizugeben. Aber wenn den Trauben ein oder zwei Grad an Zucker fehlt, dann ist es sinnlos, wenn man Zucker zufügt, obwohl man so mehr Alkohol bekäme.

Was ist daran unschön?

So verfahren würde es am ganzen Rest fehlen – an Farbe, Aroma, Extrakt. Man bekäme einen unausgewogenen Wein. Aber, wenn man weiss was man tun muss, liefert eine Konzentration viel bessere Ergebnisse, obwohl das Verfahren aufwendiger und teuerer ist.

Ab wann hast du so produziert?

Ich entschied mich damit während meiner Zeit bei Prunotto – gegen Mitte der 1970er Jahre – zu experimentieren. Ich hatte das Verfahren zwar in der Weinausbildung gelernt, aber ich wusste nicht viel darüber. Ausserdem wurde gemunkelt, dass es nicht funktioniert, weil oftmals die Weine einen gekochten Geschmack entwickelten.

DER KONZENTRATOR

So wie ich dich kenne, hat gerade das Dich gereizt?

Ja, mich scherten die Gerüchte nicht. Ich wollte mehr darüber erfahren. Also kontaktierte ich Padovan, der zusammen mit Giannazza, Konzentratoren herstellte. Ich bat ihn, mit seinen Ingenieuren zu sprechen. Er lud mich ein und ich besuchte seine Fabrik. Den Ingenieuren erläuterte ich, was ich mir vorstellte und was ich glaubte zu brauchen. Es ging im Wesentlichen um ein Konzentrat, das den Wein verbessert, ohne ihn zu denaturieren.

Wie reagierten die Ingenieure?

Sie waren sofort bei der Sache und erklärten mir verschiedene Systeme und Technologien. Sie berieten mich, welche am besten zu meinen Bedürfnissen passten und empfahlen mir auch die richtige Maischegrösse, um bestmögliche Leistung zu erhalten.

Wann hast du mit dem Konzentrator begonnen?

Zum ersten Mal habe ich ihn 1977 verwendet. Es war ein schlechtes Jahr für den Wein, wir konnten kein gutes Traubenmaterial einfahren. Und so zweifelte ich, ob ich den Konzentrator überhaupt in diesem Jahr einsetzen sollte. Jeder, der von meinen Überlegungen wusste, hielt dies bei Anwendung auf den Barolo und Barbaresco für keine gute Idee. Also entschied ich mich, einen Broker von Dogliani zu kontaktieren. Ich bat ihn, mir zehn Tonnen an Dolcetto-Trauben zu besorgen, und zwar die schlechtesten, die er auftreiben könne.

Was war deine Überlegung?

Meine Überlegung war, dass ich, wenn ich einen akzeptablen Wein produzieren könnte, indem ich schlechte Trauben konzentrierte, auf dem richtigen Weg wäre. Und das war es, was ich tat. Der daraus entstandene Wein war akzeptabel und das Signal für mich, so geht es weiter und ich entschloss mich, den Konzentrator für alle anderen Weine zu verwenden.

So einfach war das damals?

Nein nicht ganz so einfach wie ich das hier erzähle. Die Ingenieure hatten mir die grundlegende Logik erläutert. Demnach lag das Problem einzig daran, wie man den Konzentrator benutzt. Wenn man den Traubensaft zu sehr konzentriert, erhält man einen Geschmack nach Marmelade. Aber um einen harmonischen Wein so herzustellen, muss ein wenig Wasser entfernt werden, dabei darf der Most nicht verbrannt werden. Das heisst, der Most muss in sehr kurzer Zeit mit hoher Temperatur erhitzt werden, ich nenne es Blitzerhitzung. Es muss so schnell gehen, dass der Most nicht das Kochen anfängt. Macht man es richtig, dann erhält man ein ausgezeichnetes Ergebnis.

DIE KÜCHE DER LANGHE

Beppe, lass uns das Thema wechseln. Sprechen wir mal über dein Engagement für die Küche der Langhe.

Oh, ja, ein grosses Thema. In den 1960er Jahren waren meine Freunde Luciano De Giacomi, Ranato Ratti, der Rechtsanwalt Oddero, Gianni Agnelli, der ein Bruder des Fotografen Aldo war, Giovanni Bressano und ich von der Gastronomie besessen. Die Restaurants rund um Alba befanden sich in den Nachkriegsjahren in einem katastrophalen Zustand. Nur wohlhabende Familien genossen noch immer unsere regionale Küche mit den notwendigen Ressourcen, Traditionen, Rohstoffen und Verarbeitungen – allerdings zuhause. Die Restaurants waren damals eine Schande.

Was war eure Idee?

Das was wir uns ausdachten ging weit über das hinaus, was wir eigentlich glaubten umsetzen zu können. Am Ende hatten wir einen Wettbewerb, der alles ins Rollen brachte.

Wie kam das?

Wir erzählten allen Tavernen, Gasthäusern und Restaurants der Langhe, also nicht nur denen rund um Alba, weil wir keine Grenzen setzen wollten, dass sie an einem Wettbewerb teilnehmen könnten. Unsere Regeln waren, dass eine Jury, bestehend aus uns selbst, jederzeit unangemeldet kommen würde, speisen, was immer das Angebot sei und dafür bezahlen würde. Dass wir bezahlen würden, war nebenher auch ein ausschlaggebender Punkt. In kurzer Zeit registrierten sich nicht weniger als 86 Restaurants und Tavernen. Das waren wirklich viele, vor allem in einer Zeit, als es noch keinen Tourismus gab, den wir jetzt längst haben.

War nur das Bezahlen der Zugpunkt oder gab es weitere Vorteile für die Gastronomie?

Mehr als alles andere war das Engagement der Branche darauf zurückzuführen, dass selbst die  Gastronomen die Bedeutung des Wettbewerbs verstanden, denn damals gab es viele Mängel, darunter Sauberkeit in der Küche und im Gastraum, Toiletten, guter Service, um nur die wichtigsten zu benennen. 

Wie bewertete die Jury?

Unsere Jury bestand aus einem Mitglied, das den Wein beurteilte, einer, der die Hygiene zensierte, ein anderer bewertete das Essen und so weiter. Jeder von uns erstellte einen anonymen Bericht und steckte ihn in einen versiegelten Umschlag, wo er bis zum Ende der Prüfzeit blieb. Niemand von uns wusste vorher, wie die Bewertung des jeweils anderen Jurymitglieds ausfiel. Am Ende öffneten wir die Umschläge und fügten die einzelnen Themenbewertungen zusammen. Die sechs Plätze mit den besten Ergebnissen gewannen einen Preis. Zudem berücksichtigten wir Sieger bei weiteren kulinarischen Ereignissen.

Was für ein Aufwand!

Es war nicht nur aufwendig, wir mussten das Projekt auch glaubhaft führen. Um das zu erreichen, haben wir Dr. Luciano De Giacomi, seiner Zeit Apotheker in Alba, beteiligt. Zusammen mit ihm und mit Renato Ratti haben wir auch den Ritterorden der Trüffel gegründet habe. Man kann Luciano in vielen Dingen kritisieren, aber wenn er dabei war, dann gab es keinen Zweifel, dass das Projekt ernst zu nehmen war. Und bekannt gemacht haben wir das Projekt mittels eines weiteren Freundes von mir, der in Alba lebte und sich häufig in den Kreisen von Journalisten aus Mailand bewegte.

Klar, zu der Zeit gab es nicht die Mittel wie wir sie heute haben, um Projekte bekannt zu machen.

Korrekt. Das ganze Projekt war ein Rennen in Etappen. Wir mussten uns anders behelfen. Mein Freund kannte den Journalisten Veronelli. Damals war Veronelli noch in seinen Anfängen, später erlangte er als Journalist Berühmtheit. Also mein Freund und Veronelli organisierten ein Mittagessen im Presseclub, der im Palazzo Serbelloni residierte. Es war das erste Mal in der Geschichte Mailands, dass ein Mittagessen nur auf der Grundlage eines bestimmten Gebietes organisiert wurde. Auf Anraten von De Giacomi bereiteten die sechs Finalisten unseres Wettbewerbs jeweils ein eigenes Gericht zu. Es war ein unvergessliches Mittagessen. Die meisten der damals teilnehmenden Journalisten weilen nicht mehr unter uns, aber als ich vor ein paar Jahren zufällig einen von ihnen traf, erinnerte er sich noch an das überwältigende Mittagessen. 

Das war also der Beginn der Auferstehung unserer regionalen Küche. 

Ja. Und wir legten noch nach. Unter Führung von De Giacomi und Monte, einem Fiat-Ingenieur, der sich sehr für die Gastronomie interessierte und gut schreiben konnte, erstellen wir ein erstes Buch über unsere Region, eine Klassifikation der Gastronomie, garniert mit Rezepten aus der Langhe.

Wann erschien das Buch?

Das Buch erschien 1968 und trug den Titel 'Eine Küche, die es wert ist, gerettet zu werden'. Dieser Titel erzählt eine ganze Geschichte. Wenn jemand dieses Buch heute liest, wird er staunen. Es hat alles vorausgesehen, was sich im Laufe der Jahre ereignet hat. Und das ist in Ordnung, denn wenn man für Essen und Wein Geld ausgibt, ist in dem Buch das zu finden, wofür es sich lohnt, Geld auszugeben und dafür Qualität zu erhalten.

KURZBIOGRAFIE


Beppe Colla ist zweifelsfrei einer der wenigen Menschen, die ein echtes, zeitgenössisches Statement zur Geschichte der Weinherstellung und der Küche der Langhe geben können. Seine Kurzbiografie aus einem bewegten Leben ist gespickt mit Meilensteinen:

Nach seinem Abschluss als Önologe (Weinschule in Alba) im Jahr 1949 war er von 1956 bis 1990 der leitende Geist und Architekt der Prunotto-Weine. Mit seinem Barolo Bussia ab dem Jahrgang 1961 leistete er Pionierarbeit bei der Herstellung der großen Langhe-Weine. 1967 gründete er zusammen mit Luciano De Giacomi und Renato Ratti den Orden der Ritter vom Trüffel und von den Weinen von Alba, dessen Großmeister er auch wurde. In den frühen 1960er Jahren half er bei der Erstellung von Produktionsreglementen für die Alba DOC und gründete 1993 mit seinem Bruder Tino und seiner Tochter Federica die Poderi Colla, ein Weingut, dem Tino´s Son Pietro ebenfalls 2006 beitrat.

Die Links zu allen Beiträgen zum Thema 'Beppe Colla‘ sind nachfolgend unter 'Verwandte Artikel' gelistet.

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